Wiens bester Fischhändler hat ein Standl am Karmelitermarkt – und gleich zwei hochdekorierte Köche am Herd.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Der Kolfok "Nolens Volens" ist ein Welschriesling aus einer alten Neckenmarkter Lage – und ein fantastisches Beispiel für die Neuentdeckung dieser lange als Zechwein verkannten Rebe durch junge "low intervention"-Winzer. Der Wein vermag eingelernte Erwartungen auf vielfache Weise zu korrigieren (Weißwein aus Neckenmarkt? Großer Welschriesling?), er bricht unbekümmert mit Konventionen und vermag enormen Trinkfluss mit Finesse und karger Eleganz zu vereinen.

Dass so ein Nonkonformist der "Hauswein" im Lieblingsfisch ist, dem nach Monaten des Lockdowns auch als Imbiss eröffneten Marktstandl von Eishken Estate am Karmelitermarkt, kann durchaus als symptomatisch gelten. Zum Beispiel, weil es ihn hier eigentlich gar nicht geben darf: Gewerblicher Weinausschank im Marktstand ist (im Gegensatz zu Bier) nämlich aus marktamtlichen Gründen verboten. Aber schön der Reihe nach.

Dass sich Österreichs bester Fischhändler Eishken Estate nach Jahrzehnten in Inzersdorf, an der äußersten Peripherie und ebensolcher Konzentration auf Restaurantkunden, dazu erweichen lässt, in der Stadt einen Shop für normalsterbliche Genießer zu eröffnen, ist ebenso unerwartet wie zeitgemäß.

Und es ist doppelt schön, dass der Ort auch noch mit einem luxuriösen Imbiss geadelt wird, wo man die noblen Hervé- und Gillardeau-Austern, die Wildfang-Fische und unanständig drallen Meeresfrüchte nicht nur in makelloser Frische und Zurichtung erwerben kann, sondern auch, vor Ort tischfein gemacht, verzwicken darf.

Für das Standl mit acht Verabreichungsplätzen wurden gleich zwei Küchenchefs engagiert. Einerseits Peter Zinter, der im längst verblichenen Vincent einst einen Stern erkocht hat und zuletzt bei einem Heurigen in Leithaprodersdorf unter Vertrag war. Und andererseits Radek Simecka aus Tschechien, der vom Zweisterner Lorenz Adlon aus der deutschen Hauptstadt Berlin kommt und dort Souschef war.

Entspannung am Herd

Umso erstaunlicher ist, dass die beiden Hochqualifizierten offenbar den Auftrag haben, es explizit entspannt anzugehen: Die Küche sperrt schon um 17 Uhr (und samstags gar nicht erst auf), statt eines großen Reigens ambitionierter Köstlichkeiten gibt es Standards, die man noch vom Take-away aus dem Lockdown kennt (Sarde in Saor, Oktopussalat, echt fantastische, bei Hink produzierte Fischsuppe).

Mit der Öffnung kommen wirklich noble, oft variierte Häppchen dazu: sehr gute Austern mit Apfel-Wasabi-Dressing zum Beispiel, oder ein Crudo vom schwedischen Kaisergranat (siehe Bild) oder echt großartige Thunfischröllchen in frischen – weil im Burgenland angebauten – Wasabiblättern.

Crudo vom schwedischen Kaisergranat
Foto: Gerhard Wasserbauer

Die auf dem steirischen Gut von Milliardenerbin Ingrid Flick in gewärmten Tanks gezüchtete Garnele wird, wohl zur Betonung der Produktqualität, roh und mit nichts als Olivenöl und einem recht erdigen Hauch von Wasabi serviert – beeindruckend ob der Frische, aber eher nicht die letztgültige Form der Darreichung: So pur, ohne Säure, ohne das Krustentieraroma aus Kopf oder Schale, wird einem das dichtgepackte Protein schnell zu viel.

Tatar von Eishken-eigenen Rindern kommt, wie im Tantris, auf kühles Rösti gepackt und dick mit Kaviar bestrichen zu Tisch – genau das Richtige, um die Covid-Ausfallszahlungen der Bundesregierung ins Wirtschaftswachstum zu reinvestieren.

Ein warmes Gericht pro Tag gibt es auch, das kann ein Curry sein, aber auch eine Tranche vom Zander, knusprig zu blätternder Konsistenz gebraten, mit unvernünftig köstlicher ’Nduja-Oberssauce. Nur Wein darf man dazu, siehe oben, keinen ordern, sondern muss auf die Großzügigkeit der Betreiber (und den einen oder anderen rechtlichen Kunstgriff) hoffen. Nur so viel: Man hofft, zum Glück, nicht umsonst. (Severin Corti, RONDO, 21.5.2021)

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