Es ist wieder etwas los vor dem Hauptgebäude der Universität Wien: Die ÖH-Wahl hat begonnen, und an den drei Wahltagen von Dienstag bis Donnerstag lassen es sich die kandidierenden Listen nicht nehmen, vor Ort um Stimmen zu werben. Und so bietet sich ein Bild, das Studierende, die bereits ein paar Semester mehr absolviert haben, zur Genüge kennen.

Den Weg von der U2-Station Schottentor zum Eingang der Hochschule säumen links und rechts Plakatständer, Zelte und Stände in bunten Farben. Im jeweils passenden Kolorit versammeln sich rundherum Aktivistinnen und Aktivisten der einzelnen Listen, bewaffnet mit Kipferln, Stiften und Flyern. "Das ist jetzt schon ein bisschen wie normales Wahlkampf-Feeling", sagt eine Wahlkämpferin im roten T-Shirt.

Stände neben Ständen finden sich vor dem Hauptgebäude der Uni Wien.
Foto: Oona Kroisleitner

Doch eines ist anders: Das Verhältnis zwischen Wahlwerbenden und potenziellen Wählerinnen und Wählern ist heuer äußerst unausgeglichen. Die Studierenden fehlen vor und in der Hochschule. Sie sind Corona-bedingt weiterhin zum Großteil im Distance-Learning. Denn während Schülerinnen und Schüler seit Montag wieder den Schulalltag genießen, studieren die jungen Erwachsenen bis auf vorerst unbestimmte Zeit von daheim aus.

6,9 Prozent am ersten Tag

Die aktuelle Pandemie, so befürchten viele in der ÖH, dürfte sich auf die ohnehin niedrige Wahlbeteiligung nachteilig auswirken. Schon bei der vergangenen ÖH-Wahl im Jahr 2019 gaben nur rund 26 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Nach dem ersten Wahltag lag die Beteiligung bei 6,9 Prozent – inklusive der bereits eingelangten Briefwahlstimmen (3,9 Prozent ohne Wahlkarten). Zum Vergleich: Im Jahr 2019 lag der Wert am ersten Wahlabend bei 10,4 Prozent.

"Wir hoffen noch immer auf eine hohe Wahlbeteiligung", sagt Oliver Schmidt hinter der grasgrünen Maske. Er selbst geht von einer Beteiligung von 15 bis 20 Prozent aus. Der Kandidat der Grünen und Alternativen Studierenden (Gras) ist aber, wie er selbst betont, "recht optimistisch". Um Studierende zum Wählen zu motivieren, verteilt seine Fraktion neben Kaffeetassen, Kugelschreibern und Co – ganz getreu ihrer Kurzbezeichnung – auch CBD-Blüten und Filter-Tips. "Es geht darum, auf Bundesebene eine klare Mehrheit für eine linke Koalition zu schaffen. Man hat gesehen, wie rückschrittlich die AG arbeitet", sagt Schmidt.

Seit Herbst 2020 stellt die Aktionsgemeinschaft (AG) mit Sabine Hanger die ÖH-Chefin. Zum Zug kam Hanger aber nicht aufgrund von Mehrheiten. Die linke Koalition aus Gras, Fachschaftslisten (Flö) und dem Verband Sozialistischer Studierender (VSStÖ), die sich nach der Wahl 2019 zusammengefunden hatte, war internen Streitereien zum Opfer gefallen. Nun hoffe man mit den neuen Listenspitzen auf eine Neuauflage, erklärt Schmidt die linke Sicht.

Zwei Werbeschienen

Nur wenige Meter von ihm entfernt kämpft eine von ihnen mit Umhängetaschen, Feuerzeugen und Trinkflaschen um Stimmen. "Es läuft ganz gut", sagt die Spitzenkandidatin des VSStÖ, Sara Velić. "So fühlt sich der Wahlkampf am ehesten nach normal an." Velić tourt an den drei Tagen durch die Hochschulstandorte. Auch wenn sie im Endspurt "drei sehr intensive Tage" vermutet, sei viel Mobilisierung bereits vorab online geschehen. Trotz Präsenzwahlkampfs wollen die roten Studierenden diese Schiene bis Donnerstag weiterführen – "damit die Studierenden in die Wahlkabine kommen", sagt Velić.

Wahlgeschenke gibt es von allen Fraktionen.
Foto: oona Kroisleitner

Der Zwist zwischen Rot und Grün, der die Zusammenarbeit auf ÖH-Bundesebene beendet hat, scheint zumindest an diesem Wahltag und unter den Wahlwerbenden keine Rolle mehr zu spielen. Doch Stephen Slager von den Jungen Liberalen Studierenden (Junos) erinnert sich kritisch an besagtes Hickhack innerhalb der ÖH: Wenn die Hochschülerschaft nur durch Streitereien auffalle, schlage sich das aufs Image der Vertretung. Dass die ÖH weitgehend "unsichtbar" sei, trage zur schlechten Wahlbeteiligung sicher bei, sagt Schlager hinter dem pinken Stand. "Es ist sehr wenig los vor dem Hauptgebäude, das merkt man. Wenn das ein Zeichen für die Wahlbeteiligung ist, dann ist das schlecht", sagt der Vorsitzende der Junos.

"Wertvolle" Stimmen

Und auch die an manchen Fachhochschulen vorgezogenen Wahltage verheißen wenig Gutes. Zwar seien auf der FH BFI Wien etwa viele Studierende bereits vergangene Woche wählen gewesen, wie ÖH-Chefin Hanger berichtet, auf der FH Campus Wien seien es hingegen ausgesprochen wenige gewesen. Hanger verweist aber auch auf die Briefwahl – noch nie haben so viele Studierende eine Wahlkarte beantragt. Rund 21.100 Studierende wählen heuer per Brief. "Entweder es ist eine gute Prognose, oder das war es", sagt Hanger. Und: "Jede einzelne Stimme ist unfassbar wertvoll."

Bis Donnerstag kann noch gewählt werden.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Vor Hangers eigener Fakultät, dem Juridicum in Wien, verteilt die AG Trinkflaschen und Desinfektionsmittel, aber auch Glasstrohhalme gehören zu den Goodies, die man abstauben kann. Im Gegensatz zu den Wahlkämpfenden vor der Uni Wien tragen die Kandidatinnen und Kandidaten aber nicht nur Orange: Jede der fünf Personen, die für die Studienvertretung kandidiert, ist in eine eigene Farbe gehüllt – bunt "wie der Regenbogen", sagt ein AG-Mitglied. Die ÖH-Chefin selbst kandidiert nicht für die Studienvertretung. Sie kämpft heuer um die Wiederwahl und ist Spitzenkandidatin der AG. Sie will in den kommenden zwei Jahren am Image der ÖH arbeiten. "Als AG wollen wir einen intensiven Prozess starten, um die Studierenden zu überzeugen, dass die ÖH wichtig ist", sagt sie.

Gegen Zwang und Pflicht

Ganz so wichtig ist die – zumindest die aktuelle – ÖH für den Ring Freiheitlicher Studenten (RFS) nicht. "Für uns waren schon die 26 Prozent Wahlbeteiligung demokratiepolitisch bedenklich", sagt Spitzenkandidat Matthias Kornek. Die blauen Studierenden setzen sich für die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft ein. Eine Interessenvertretung sei durch das Interesse an ihr stark und "nicht durch Zwang". Falle die Wahlbeteiligung unter 20 Prozent, sei das strukturgefährdend, meint Kornek. Der RFS will jedenfalls "deutliche Zugewinne" erzielen. Was das heißt? "Ein zweites Mandat", erklärt Kornek.

Foto: Christian Fischer

Neben dem Stand des RFS dröhnt Musik aus den Lautsprecherboxen. "Es läuft eigentlich ganz gut. Es waren einige Leute da", sagt Simon Neuhold vom KSV Lili. Neben Themen, die bereits seit längerem forciert werden, etwa Antifaschismus und Feminismus, habe man heuer im Wahlkampf thematisch auch auf die Situation von Studierenden während der Corona-Pandemie gesetzt, sagt der Aktivist.

Für den KSV-KJÖ ist der Wahlkampf eigentlich fast schon gelaufen. "Der Wahlkampf ist ja schon online passiert. Jetzt in den letzten Tagen ist es eher schwierig, noch Leute zu erreichen", sagt Louis Strasser. "Ich denke, unsere Chancen sind nicht allzu schlecht. Wir waren online sehr aktiv – das ist jetzt ein fließender Übergang", sagt er. (Oona Kroisleitner, 19.5.2021)