Der mit dem Feuer spielt: Philip Rachinger in seiner atemberaubend guten Fine-Dining-Schwarzkuchl Ois im Mühltalhof.

Foto: Severin Corti

Es ist der erste Post-Lockdown-Abend, kurz nach 18 Uhr. Im Mühltalhof sind die Tische besetzt, auf der transparenten Veranda über der Mühl (nunmehr das Hotelrestaurant) ebenso wie im nagelneuen Ois gleich dahinter.

Gerade einmal vier Zweiertische und ein großer Ecktisch für sechs Personen gehen sich unter Pandemiebedingungen in dieser Tuningwerkstatt für Hochleistungsgaumen aus. So selbstironisch beschreibt Rachinger sein neues Schmuckstück von einem Restaurant samt mächtiger Feuerstelle selbst – auf einem Flugblatt in forciertem Automechaniker-Design, das gegen Ende des Abends plötzlich herumliegt.

Davor aber sind mindestens zwölf Gänge auf den Tischen (aus dem Parkett der früheren Kaminstube geschnitten) gelandet. Wird alles ausgesprochen nonchalant und scheinbar entspannt dargebracht – ist aber so ziemlich das Tollste und Aufregendste, was man sich nach der Zeit der Entbehrung an Gutem tun kann. Rachinger spannt mit dem täglich variierten großen Menü einen extrem elegant wie lässig angesetzten Bogen.

Die Stimmung der Gäste ist wie elektrisch vor Freude, der Service bringt erste Erfrischungen. Jeder Handgriff, jeder liebevolle Schmäh sitzt, die Anspannung der Crew ist nur zu ahnen. Natürlich ist sie an diesem ersten Abend nach der Stille enorm, wie überall. Dann, endlich, wird die riesige Schiebetür mit dem Lifesize-Küchenbildnis aus dem alten Restaurant zur Seite geschoben.

Es wird hell in der Rauchkuchl, die große, in gleißendem Weiß strahlende Küche samt Brigade kommt zum Vorschein. Auf der massiven Küchenschank, einem Monolith aus Grünschiefer, der das Wasser der Mühl vor dem Fenster zu spiegeln scheint, geht das Schauspiel der Köche los.

In einer metallenen Eiscoup-Form aus den 1960ern (hat Rachinger in der toten Zeit neben allerhand historischem Hotelbesteck online ersteigert) kringeln sich hauchfeine Scheiben von Bierradi und Radieschen, knackig und von eigentümlich bittersüßer, alkoholischer Aromatik. Man muss genau schauen, was Rachinger da zwischen dem Gemüse versteckt hat: kleine Nuggets eines rötlichen Gelees, das ganz verdammt gut schmeckt – nach, hm, ja, was wohl? Negroni! Klar, dass Sommelier Daniel Schicker dazu Natursprudel von der Loire einschenkt – wie Sbagliato, nur halt dekonstruiert. Die Geschmacksnerven sind erfolgreich dem Winterschlaf entrissen.

Erdäpfel-Löwenzahn-Salat klingt nach fantastischer Großmutterküche, ist es auch – cremig, sanft, wunderbar mollig abgeschmeckt. Wenn da nicht dieser Löffel voll Saiblingskaviar wäre, geradezu knackig ploppend, und dieses überirdische Dressing von hintergründig schillernder Fruchtigkeit.

Schwupp wird das Wohlfühlessen in die Sphären der Hochküche entführt: total unprätentiös, wie es Rachinger-Art ist, aber unbeschreiblich gut. Eine tiefgrün geschichtete Sulz besteht aus nichts als Wald- und Wiesenkräutern, die kommen auch als Salat an die Seite: frisch, tonisierend, unanständig frisch schmelzend am Gaumen. "Was der Maibock auch gegessen hat, den ihr später bekommt", sagt Rachinger.

Prost Mahlzeit

Maibock-Rücken in schwarzen Ribiselblättern mit Steinklee, Waldspargel (Waldgeißbart) und noch mehr Spargel.
Foto: Severin Corti

Aber davor gibt es Spargel aus der Glut und wilden Hopfen, mit Leinöl-Hollandaise samt Stammwürze-Reduktion aus der nahen Brauerei – Hopfen und Malz, wie es nur der Frühling kann. So geht es dahin, Gang um Gang, lauter unmittelbare Attacken auf die Sinne, allesamt der schockierend guten Art. Gekochter Dotterstrudel in Morchelrahm mit Kaffeebohnen-Splittern gehört aber auf ein besonderes Podest gestellt – irrsinnig feine Konsistenz, tiefenelegante Sauce, ein bissl arg der Kaffee, gerade richtig.

Dann kommen drei Maibock-Gänge hintereinander, man ist endgültig im Paradies. Der Rücken in schwarzen Ribiselblättern mit Steinklee, Waldspargel (Waldgeißbart) und noch mehr Spargel (siehe Bild) ist der hübscheste.

Das Ragout mit knuspriger Topinambur, Maiwipferl und einem Hauch Tonkabohne oder der Toast mit in Wacholderkraut gegrillter Schulter und dem ersten Knoblauch sind mindestens so geil. Und das Dessert aus den ersten Erdbeeren mit Baiser und Krenrahm schießt einen endgültig zum Mond und retour. Was insofern gut ist, als es dann gerade zehn Uhr läutet und wir wieder brav sein müssen. (Severin Corti, RONDO, 28.5.2021)

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