Die Fässer sind nur zu vier Fünfteln gefüllt, eine Schicht aus weißer Florhefe schützt den Wein vor Luftzufuhr.

Foto: sherry.wine / Consejo Regulador de las Denominaciones de Origen "Jerez-Xérès-Sherry" – "Manzanilla-Sanlúcar de Barrameda" – "Vinagre de Jerez"

Angeblich hat Christoph Kolumbus Folgendes gemacht, als er zum ersten Mal amerikanischen Sand unter seinen Füßen gespürt hat: Er ist zurückgestapft in seine Kajüte, hat die beste Flasche hervorgekramt, die er genau für diesen Zweck (oder eigentlich für das Erreichen Indiens) aufgehoben hatte, und hat den Korken ploppen lassen. Der Inhalt dieser besonderen Flasche: Sherry, mit Weingeist verstärkter Weißwein aus Andalusien.

Bevor Sherry in den 1970er-Jahren zur picksüßen Begleitung im Ü70-Canasta-Club verkam, war er lange Zeit ein beliebtes Getränk. Jeder, der etwas auf sich hielt, trank ihn – von Shakespeare bis hin zum Piraten Francis Drake. Durch Letzteren kam der mit Weingeist versetzte Wein aus dem Süden Spaniens erst nach England. Denn Francis Drake hatte ein Schiff gekapert, das mit einer großen Menge Sherry beladen war. Dass dieser gut schmeckt, hatten nicht nur die Piraten schnell herausgefunden.

So avancierte der Wein bald im Vereinigten Königreich zum Luxusprodukt, dem William Shakespeare mehr als 40-mal in seinen Werken Rosen streute. Bis heute nimmt Sherry in England einen höheren Stellenwert ein als in unseren Breitengraden. Das ist der jahrhundertealten Tradition des Imports spanischer Weine ins Vereinigte Königreich geschuldet.

Wein für Erklärbären

Tatsächlich ist Sherry kaum mit anderen Weinen vergleichbar. Zwar wird er ähnlich wie Portwein mit Weingeist "aufgespritet". Doch das passiert beim Sherry im Gegensatz zum Portwein erst nach der Gärung, wenn die Hefe allen vergärbaren Zucker in Alkohol umgewandelt hat. Daher ist Sherry in seinem Ursprung immer trocken. Und die guten Qualitäten werden in der Regel auch so belassen.

Wer hochwertigen Sherry möchte, sollte also zu den trockenen Exemplaren greifen. Mit Ausnahme der Sherrys aus der Pedro-Ximenez-Traube, kurz PX, oder auch aus der Moscatel-Traube. Diese Stile sind so süß und pechschwarz, dass die Assoziation mit Powidl in Optik und Geschmack naheliegt.

Die Komplexität von Sherry ist seine Stärke und Schwäche zugleich. Denn auch wenn alle Sorten im Ursprung, mit Ausnahme des PX, aus der weißen Palomino-Traube gekeltert werden, geht der Baum der Möglichkeiten erst im Keller so richtig auf. In der ersten Verästelung wird der Palomino auf 15 Volumsprozent gespritet. So wird ein Fino oder ein Manzanilla aus ihm. Hier ist der Unterschied nur der Ursprungsort. Finos entstehen in Jerez de la Frontera, Manzanilla im Küstenstädtchen Sanlúcar de Barrameda.

Großartiger Speisebegleiter

Beiden gemein ist die Reifung unter der Florhefe. Die Fässer sind nur zu vier Fünfteln gefüllt, eine Schicht aus weißer Florhefe schützt den Wein vor Luftzufuhr. Das Ergebnis sind salzig fokussierte Weine, die nach Hefe duften und nach Salz und Mandeln schmecken. Aufgeladen mit einer gehörigen Portion Umami, denn Sherry ist sehr aminosäurehaltig und wirkt somit geschmacksverstärkend. Das macht ihn zum großartigen Speisebegleiter.

Wird auf 18 Volumsprozent gespritet, entsteht keine Florhefe, der Weinstil Oloroso ist das Ergebnis. Ihm reicht keiner das Wasser, wenn es um die Begleitung von schwer zu begleitenden Gerichten wie deftigen Eintöpfen geht. Dazwischen stehen die Stile Amontillado, Palo Cortado oder Manzanilla Pasada. Allesamt großartige Weine, die ohne Umwege auf geschmackliches Neuland führen.

Das sagt auch Sherry-Botschafter Reinhard Pohorec. Der Unternehmer und Gastgeber in der Bar Tür 7 in Wien liebt Sherry wegen seiner Bandbreite: "Er ist großartig zum Mixen, bedient den Trend zu alkoholschwächeren Cocktails, in Natural-Wine-Kreisen kommt er wegen des oxidativen Ausbaus gut an, in der Speisenbegleitung ist er unerreicht, und er nimmt es sogar mit Zigarren auf."

Denn Pohorec ist nicht nur Sherry-Freund, sondern auch international gefragter Zigarrenexperte. Und so ein Moment in New York oder auch London, wo Sherry-Bars mit ausgewählten Tropfen seit einiger Zeit schwer angesagt sind, mit dem mineralischen Fino in der einen und der Zigarre im Connecticut-Shade- Deckblatt in der anderen Hand, das kommt zumindest geschmacklich einer Neuentdeckung à la Christoph Kolumbus schon recht nahe. (Nina Wessely, RONDO exklusiv, 24.6.2021)