Als "seltsam vertraute Gestalt" mit "vielen Gesichtern" bezeichnet der britische "Economist" Bundeskanzler Sebastian Kurz. Das Blatt sieht politische Ähnlichkeiten mit David Cameron, Mark Rutte, Viktor Orbán und Benjamin Netanjahu. Alle vier haben gemeinsam: "Jeder von Herrn Kurz' Doppelgängern ist am Ende in Schwierigkeiten geraten." Kurz brauche "einen neuen, originelleren Ansatz, um solche Schicksale zu vermeiden". Mache er es aber richtig, habe "er das Potenzial, die österreichische Politik für eine Generation zu dominieren. Macht er es falsch, winkt ein sehr langer Ruhestand." Im Folgenden weitere Auszüge:

"In seinem Verhältnis zur EU ist Herr Kurz David Cameron am ähnlichsten, dem ehemaligen britischen Premierminister, der das Brexit-Referendum ausrief und verlor. Unter Eurokraten ist ein Vergleich mit Herrn Cameron kein Kompliment. Wie Herr Cameron greift Herr Kurz gerne die EU an, nimmt die Lorbeeren für ihre Errungenschaften entgegen und schiebt die Schuld für jedes Problem auf Brüssel."

Leitmotiv Machterhalt

"In der Innenpolitik ist Kurz' Ansatz einer, bei dem der Machterwerb und -erhalt und nicht Prinzipien oder Politik sein Leitfaden ist. Darin erinnert er am meisten an Mark Rutte, den niederländischen Premierminister (...). Rutte hat sich an die Macht geklammert, indem er Deals mit jedem gemacht hat, der bereit war, ihn im Amt zu halten. (...) Herr Kurz hat eine ähnliche Anpassungsfähigkeit gezeigt. (...) Er mag sich für einen liberalen christlichen Demokraten halten, aber die Wahrheit ist, dass er von beidem nicht viel ist. (...) Der Machterhalt ist sein Leitmotiv."

"Was Herr Orbán und Herr Kurz (...) gemeinsam haben, ist der Glaube, dass das System gegen sie gerichtet ist. Herr Kurz hat die österreichischen Staatsanwälte kritisiert und sie beschuldigt, in Fällen gegen seine Verbündeten Fehler zu machen und den politischen Rivalen nahezustehen. Paranoia, ob aufrichtig oder zynisch empfunden, ist kein gesunder Charakterzug bei einem Politiker."

Der Bundeskanzler wurde beim Sankt Petersburger Wirtschaftsforum zugeschaltet.
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Bibi-ähnliche Hartnäckigkeit

"Herr Kurz würde gerne die Fähigkeit von Herrn Netanjahu kopieren, inmitten von Chaos und Schuldzuweisungen wiederholt Wahlen zu gewinnen. Er setzt auf Empörungsmüdigkeit, wobei die Wähler jede Enthüllung ein bisschen weniger ernst nehmen als die vorherige, bis jede neue Anschuldigung nicht mehr viel wert ist. Die Dinge mögen für Herrn Kurz düster aussehen, aber eine Bibi-ähnliche Hartnäckigkeit – zumal die Umfragewerte des Kanzlers gerade noch so halten – könnte ihn retten." (red, 11.6.2021)