Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr hält an der Reform der Lehrstundenverteilung fest: Man dürfe Schulen mit größeren Klassen und mehr Herausforderungen nicht bestrafen.

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Es gibt Erklärungsbedarf. Neos-Bildungsstadtrat und Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr hat mit seinen Plänen zur Reform der Lehrstundenverteilung eine ganze Reihe von Pädagoginnen und Pädagogen sowie Eltern und Schulleitungen gegen sich aufgebracht. Er habe gewusst, dass die Umsetzung seiner Pläne nicht leicht werden würde, sagt Wiederkehr in seinem Büro im Wiener Rathaus. Ein paar Millionen Euro mehr hätten aber sicher geholfen.

STANDARD: Sie argumentieren, jetzt laufe alles fairer und transparenter. Gestatten Sie uns einen Einblick in Ihre Liste der Reformgewinner?

Wiederkehr: Gerne, kein Problem! Ich wurde gewählt für mutige und ehrliche Reformen. Und für mich als Bildungsstadtrat war es nicht nachvollziehbar, warum welche Schule welche Ressourcen bekommt. Deshalb haben wir das geändert. Jetzt gibt es gleich viele Gewinner wie Verlierer. Fast alle Schulen bekommen ein höheres Grundkontingent, über das sie frei verfügen können.

STANDARD: Viele Schulleiter fühlen sich da, gelinde gesagt, etwas gefrotzelt. Sie wissen, dass sie mit Wegfall des Übergangsbonus im Jahr darauf weiter kürzen müssen.

Wiederkehr: Es gibt keine Kürzungen! Im Gegenteil: Wir nehmen in Wien so viel Geld für Bildung in die Hand wie noch nie. Wir haben heuer rund 130 zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer, wir investieren aus dem Wiener Budget in 200 zusätzliche Freizeitpädagogen, die vor allem in ganztägig geführten Schulformen unterstützen. Wir bauen die administrative Unterstützung aus, wir haben ganz viele Maßnahmen – und trotzdem ist es jetzt für manche schmerzhaft. Mit diesen Schulen wollen wir individuelle Lösungen finden.

STANDARD: Wenn Sie sagen, es gibt zusätzliche Ressourcen, müssten Sie dann nicht fairerweise dazusagen: bei steigenden Schülerinnenzahlen?

Wiederkehr: Absolut. Wien wächst, und die Lehrkräfte, die der Bund finanziert, wachsen mit. Wo wir mehr investieren, als die Schülerzahlen hergeben, sind die Freizeitpädagogen – nämlich über acht Millionen Euro.

STANDARD: Im Wahlkampf haben Sie 40 Millionen gefordert. Das hat nicht funktioniert: Muss deshalb jetzt der Bund als Adressat für mehr Mittel herhalten?

Wiederkehr: Wir investieren ja in vielen Bereichen mehr. Wir planen etwa eine neue Berufsschule um 200 Millionen Euro. Wir investieren in Schulsanierungen und ins administrative Unterstützungspersonal. Es gibt ja ganz viele Bereiche abseits von Lehrerposten, wo Bildung etwas kostet.

Ein Mitarbeiter bringt die Liste herein. In jener Spalte, die ausweist, was pro Standort unterm Strich rauskommt, sind ungefähr ebenso viele grüne wie rote Balken. Wiederkehr erklärt, die meisten Schulen, die verlieren, täten das, weil sie im kommenden Schuljahr weniger Klassen haben.

STANDARD: Aber die haben weniger Klassen, weil sie bis zur Zahl 25 auffüllen müssen, oder?

Wiederkehr: Nein, die haben weniger Schüler. Wir haben ja neue Schulen mit großem Zulauf. Und wir haben bei den Mittelschulen die Konkurrenz der Gymnasien. Wir haben also steigende Schülerzahlen, aber trotzdem Standorte, die weniger Klassen haben. Generell möchte ich kleinere Klassen, weil das sinnvoll ist. Aber wir dürfen in dem System nicht Schulen bestrafen, die größere Klassen haben oder mehr Herausforderungen. Ich werde mich für mehr Mittel einsetzen.

STANDARD: Warum nicht die eine Million Euro nehmen, die Sie für den Ausbau von Privatschulen vorgesehen haben?

Wiederkehr: Das Projekt ist noch nicht finalisiert. Dieser Fördertopf ist aber wichtig, weil auch Schulen in freier Trägerschaft Gebäude brauchen, in denen man gut arbeiten kann. Sie bringen einen großen Mehrwert für das Bildungssystem, lassen Innovation zu. Also ist es sinnvoll, das zu unterstützen.

Einige Private dürfen also Leuchtturm sein – während andere, die sich das über Projekte und Schulschwerpunkte erarbeitet haben, jetzt mit null Förderung dafür nach Hause gehen? Wiederkehr erklärt, er wolle keine Schulen gegeneinander ausspielen. Was die Dotierung der schulspezifischen Projekte anlangt – da sei die Kommunikation nicht gut gelaufen, das stimme.

STANDARD: Können Sie das aufklären: Was gilt als förderungswürdiges Projekt, was als Liebhaberei?

Wiederkehr: Es ist nicht mein Verständnis, den Schulen zu sagen: "Daumen hoch, gutes Projekt" oder "Daumen runter, schlechtes Projekt" ...

STANDARD: ... aber genau das passiert doch gerade ...

Wiederkehr: Nein, die Schulen können über das Basiskontingent selbst entscheiden, welche Projekte sie bevorzugen. Darüber hinaus gibt es Zuschläge für Projekte, die Wien-weit definiert sind – etwa Schulschwimmen oder Sprachförderung in der Muttersprache. Ich verstehe aber manche Standorte, die jetzt traurig sind, weil nicht mehr jedes Projekt umgesetzt werden kann.

STANDARD: Sie sagen, mit größeren Klassen wachsen auch die Herausforderungen. Können Sie ausschließen, dass sogenannte "Brennpunktschulen", die Mittel aus dem Index bekommen, Lehrkräfte verlieren?

Wiederkehr: Nicht kategorisch. Jede Schule, die nach den Bildungsstandards vom Bifie besondere Herausforderungen hat, bekommt zusätzliche Ressourcen. Es kann aber sein, dass eine dieser Schulen künftig weniger Klassen hat. Dann kann es sein, dass sie trotz Index-Zuschlags und mehr Mitteln insgesamt weniger erhält, weil sie auch weniger Klassen hat. Darum ist wichtig, jeden einzelnen Standort anzuschauen. Ich kann garantieren, dass jede Schule mit besonderen Herausforderungen zusätzliche Ressourcen erhält.

STANDARD: Das Ganze nach über einem Jahr Distance-Learning aufgrund der Corona-Pandemie durchzuziehen, bei alarmierenden psychischen Mehrbelastungen für Kinder und Jugendliche – das bleibt leider vielen unerklärbar, wie Sie es auch drehen und wenden.

Wiederkehr: Die Frage bei Reformen ist immer: Was ist der richtige Zeitpunkt? Bei jeder größeren Reform findet man einen Grund, warum man diese nicht macht. Weil es immer angenehmer ist, den Status quo weiterlaufen zu lassen, auch wenn er ungerecht ist. Ich sehe jetzt die Chance, hin zu einem besseren System zu gehen – das ist ein erster grundsätzlicher Schritt. Auf dem kann man aufbauen.

STANDARD: Bleiben wir bei Corona: Laut den Prognosen der Stadt steuert Österreich gerade in die nächste Welle hinein. Im Herbst könnten die Zahlen demnach wieder in die Höhe schießen. Werden die Schulen im September ganz normal öffnen können?

Wiederkehr: Ich hoffe sehr und werde dafür kämpfen, weil auch die Schulen Normalität verdient haben. Wenn uns die Delta-Variante stärker beschäftigt, müssen wir weitere Sicherheitsvorkehrungen treffen: Wir müssen weiter testen und mehr junge Menschen impfen – das ist sehr, sehr wichtig. Wir setzen daher auch im Sommer einen Fokus auf Kinder und Jugendliche. Der Juli wird der Impfmonat der Jungen sein – um auch in den jüngeren Bevölkerungsgruppen mit den Impfungen voranzukommen.

STANDARD: Derzeit können nur die über Zwölfjährigen geimpft werden. Wie viele Schülerinnen und Schüler werden bis Herbst geimpft sein?

Wiederkehr: Wir haben im ersten Schritt mehr als 30.000 Impftermine freigegeben – es werden weitere folgen. Es ist uns wichtig, über den Sommer möglichst viele zu impfen, aber wir bekommen leider noch immer nicht genug Impfstoffe in der Stadt. Es ist eine bewusste Entscheidung, jetzt auf die Jüngeren zu schauen.

STANDARD: 30.000 sind allerdings nur ein Bruchteil der rund 250.000 Schülerinnen und Schüler in Wien.

Wiederkehr: Das sind die Dosen für den Juli, im August werden hoffentlich noch mehr hinzukommen. Wir können beim Impfen aber nicht weiter als ein paar Wochen in die Zukunft planen, weil die Liefermengen vom Bund so unsicher sind.

STANDARD: Für Kinder ab zwölf Jahren und ihre Eltern werden bereits Impftermine freigegeben. Warum werden nicht auch die Eltern der jüngeren Kinder, die selbst noch nicht geimpft werden können, immunisiert, um die Kleinen zu schützen?

Wiederkehr: Wir sind davon abhängig, wie viele Impfstoffe wir zur Verfügung gestellt bekommen und müssen in Wien strategische Entscheidungen treffen, auf welche Gruppen man besonders setzt. Am Anfang waren das Risikopatienten und ältere Menschen. Jetzt setzen wir auf die Jüngeren. Durch das Eltern-Kind-Impfen können auch die Eltern mitgeimpft werden.

STANDARD: Wenn das Kind aber erst acht Jahre alt ist, kann man sich nicht impfen lassen.

Wiederkehr: Es gibt andere Schienen, wie die betriebliche Impfung. Aufgrund der Mangelwirtschaft bei den Impfstoffen konnten wir leider noch nicht alle Altersgruppen freischalten.

STANDARD: Niederösterreich impft bereits seit Mai die über 16-Jährigen. Warum geht das dort so viel schneller?

Wiederkehr: Weil wir in Wien so viele Niederösterreicher mitimpfen. Das machen wir gerne, weil sie in Wien auch arbeiten und hier einen Schutz brauchen. Allerdings wurde hier die innerösterreichische Solidarität lange ignoriert, also dass wir auch vom Bund und Niederösterreich mehr Impfstoffe erhalten. (Interview: Oona Kroisleitner, Karin Riss, 24.6.2021)