Christoph Nix, der streitbare deutsche Theatermacher, leitet die Volksschauspiele im tirolischen Telfs.

Foto: Bernhard Stelzl

Christoph Nix erscheint mit Geleitschutz in Gestalt eines Franziskanerpaters an der Klosterpforte – man weiß ja nicht, was jetzt wieder kommt. Im Ort verteilte Flugblätter mit seinem angeblichen Intendantengehalt, anonyme Anrufer, die "Wir schneiden dir die Eier ab!" ins Telefon bellen: Das sei alles schon da gewesen, seufzt der gebürtige Hesse, der 2020 zum künstlerischen Leiter der Tiroler Volksschauspiele Telfs bestellt wurde und hier am 15. Juli seine erste Saison eröffnen wird.

Nix, ein kleiner, quirliger Mann mit wilder Lockenmähne, wirkt freilich nicht wie einer, der sich schnell den Schneid abkaufen lässt. Es eilt ihm auch ein entsprechender Ruf voraus: Vor allem auch mit der Kulturpolitik hat der gelernte Jurist schon allerlei Kämpfe ausgefochten, zuletzt an seiner langjährigen Wirkstätte Konstanz.

"Theater ist Konflikt"

Im deutschen Feuilleton schreibt er als Gastautor regelmäßig einer am Wagnis statt an ödem Bürokratentum orientierten Theateridee das Wort. "Theater ist Konflikt" lautet denn auch die Ansage in Telfs, wo seit Nix’ Antreten aber vor allem abseits der Bühne ausführlich gestritten wurde – mehrere Geschäftsführerwechsel und eine Rücktrittsdrohung des Intendanten inklusive.

Das hat sowohl mit dem lieben Geld als auch mit Tirol-Patriotismus zu tun: Die für Kultur zuständige ÖVP-Landesrätin ließ Nix vor einigen Wochen via Lokalpresse ausrichten, er beschäftige zu wenige Tiroler, weshalb es nun weniger Subvention als ursprünglich in Aussicht gestellt gebe.

"Das hat mich irritiert, zumal es auch nicht stimmt", sagt dazu Christoph Nix. Dass es "überhaupt eine Liste nach Nationen" gebe, irritiere ihn aber noch mehr. "Das macht man doch überhaupt nicht mehr! Ich bin ja auch geholt worden, um die Volksschauspiele internationaler zu machen."

Die Kunst soll sprechen

Jetzt solle, so Nix, aber erst einmal die Kunst sprechen. Und die macht mit einer vom jungen österreichischen Regisseur Peter Lorenz tirolisierten Fassung von Neil LaButes Stück Fettes Schwein im lokalen Dialekt durchaus Zugeständnisse an die lokalen Verhältnisse. Mit dem US-Dramatiker LaBute ist Christoph Nix seit vielen Jahren eng verbunden, holte ihn gar als Regisseur nach Konstanz. Ein Besuch Neil LaButes in Telfs wird mittlerweile eher unwahrscheinlich, auch wenn Nix für den eine Bearbeitung der noch vorhandenen Fragmente von Alfred Hitchcocks einst in Tirol entstandenem Film Der Bergadler gewinnen konnte. Allerdings wird es auch davon frühestens 2022 etwas zu sehen geben.

Seine erste Saison in Telfs eröffnet Nix dagegen mit Indien: ein "Neoklassiker", der in der Neubearbeitung von Roland Silbernagl überraschen werde, glaubt der Intendant, der das Stück keineswegs nur als potenziellen Quotenbringer programmiert haben will. Aber durchaus eingesteht, dass ihm für sein Debüt eigentlich ganz anderes vorgeschwebt sei – nämlich Peter Handkes Die Stunde da wir nichts voneinander wußten als Zusammenspiel von Laien und Professionisten, Musikkapellen und Migrantenvereinen, "ein dickes Ding. Dass die Ohren klimpern. Mache ich halt nächstes Jahr."

Unfreundlicher Empfang

Im Konjunktiv bleibt vorerst auch manch anderes, das sich Nix für Telfs vorgenommen hat. Macht aber nix, weil der Theatermacher mit dem ausgeprägten 1968er-Gestus dem Volkstheater der Gegenwart sowieso den Konjunktiv als Aufgabe auf die Fahnen zu heften gedenkt. "Das Theater hat die Aufgabe, die Welt als veränderbar darzustellen, den Konjunktiv zu pflegen, zu sagen: Ja, wir haben die Chance, die Welt immer wieder neu zu denken." – Was 2021 mit neun Produktionen an verschiedenen Spielorten geschehen soll, darunter auch einer Bearbeitung des Soliman-Stoffes durch den aus Togo stammenden Regisseur, Schauspieler und Autor Ramsès Alfa.

Was den Soliman-Stoff betrifft, wäre freilich auch der Volksschauspiel-Veteran Felix Mitterer eine Option gewesen, doch der ist im vergangenen Jahr zusammen mit der gesamten alten Riege des Festivals im Zorn abgetreten. Ein Umstand, der das Seinige zum eher unfreundlichen Empfang des neuen Intendanten beigetragen haben könnte. "Aber dafür kann ich ja nichts. Ich habe mit Mitterer auch gesprochen und zu ihm gesagt: Mitterer, wir sind zwei vaterlose Jungs. Wir haben keinen Grund, uns zu streiten. Und für mich bist du auf dem Tableau", so Nix.

Das Volk neu denken

Womöglich bahnen sich da ja doch noch neue Versöhnungen an, vorerst arbeitet Nix bei seiner Soliman-Produktion auch mit der Puppenspielabteilung der Ernst-Busch-Schule zusammen und hat mit Türkisch Gold ein für die stark von Migration geprägte Tiroler Gemeinde, in der vor zwanzig Jahren unter lautstarken Protesten ein Minarett im Miniaturformat errichtet wurde, ein Lehrstück in Sachen "neues" Volkstheater im Programm.

"Mich hat hier die Ausschreibung fasziniert: internationales Volkstheater. Dazu gehört es ja auch, die Frage nach dem Volk zu stellen. Wer ist ausgeschlossen, wer gehört dazu? Sind’s die Türken auch, die Kroaten, oder sind’s nur die Tiroler? Volk muss anders gedacht werden. Und das hat hier bisher nicht stattgefunden, und zwar gar nicht. Und da finde ich, kann es ruhig in einem fröhlichen Sinne politischer werden, auch was die Frage des Geschichtsbildes angeht, das ja nicht nur aus Andreas Hofer besteht." (Ivona Jelčić, 6.7.2021)