Hauptsache, nicht auf die Schuhe. Das grüne Pistazieneis rinnt mir wegen der Hitze der Rotenturmstraße schon an den Fingern hinunter. Ich fürchte, meine Hose hat es schon erwischt. Ich versuche mithilfe der mitgegebenen Serviette gegenzuarbeiten. Vergebens. Ich sehe einen Tropfen zu Boden fliegen. Er landet neben den Sneakern. Manchmal ist Recherche schweißtreibend.

Es galt, eine Frage zu beantworten, die die Menschheit vielleicht nicht unbedingt seit Anbeginn der Zeit, aber zumindest seit der bahnbrechend genialen Erfindung des Speiseeises – Experten vermuten den Ursprung im antiken China – beschäftigt. Warum in Teufels Namen bekommt man zum Eis keine ordentlichen, nämlich saugfähigen Servietten serviert?

Die Temperaturen steigen, das Eis rinnt. Kann die Plastikserviette Abhilfe schaffen?
Foto: Christian Fischer

Halb Plastik, halb Papier

Es sind die kleinen Probleme des Alltags, die uns meist vor die größten Rätsel stellen. In diesem Fall: Weshalb haben die Eisdielen weltweit offenbar endlose Paletten ultradünner, gefühlt zur Hälfte aus Plastik bestehender und winzigfutzelkleiner Servietten bestellt – also Wischfetzchen, die beim ersten Putzversuch sofort zerfleddern und deren Saugfähigkeit gleich null ist. Dafür sind sie meist mit dem Logo des jeweiligen Eisladens, des Herstellers oder dem Aufdruck eines semilustig vermenschlichten Eisbechers samt Spruch ("Lust auf Eis!") versehen. Zusammengefasst: Sieht vielleicht nett aus, taugt aber gar nix.

Eine derart komplexe Frage lässt sich nur aus mehreren Perspektiven beleuchten. Zunächst sollte man eine Expertenmeinung einholen. Guido Konschak, Geschäftsführer von Eisforum.de, einem Lieferanten für Eissalons, kann man getrost als solchen bezeichnen.

Also, Herr Konschak, warum führen Eisdielen ausgerechnet diese spezielle Art der Serviette? "Die sind in erster Linie zu Hygienezwecken da. Damit die Verkäuferin oder der Verkäufer die Waffel beim Befüllen nicht mit den Fingern anfassen muss. Vor allem in der jetzigen Zeit ein wichtiger Aspekt", sagt Konschak. Ein guter Punkt, der aber langsam obsolet wird, weil die meisten Läden extra kegelförmige Schutzpappen für die Stanitzel haben. Gerne werden die kleinen Serviettchen auch als Unterlage für Glaseisbecher genutzt, damit diese beim Transport nicht rutschen.

Mario Annegarn, Geschäftsführer des Eis-Gastronomie-Großhändlers GEBAS, verweist auf historische Gründe: "In Italien ist es häufig sehr warm, sodass das Eis schnell schmilzt und entlang der Waffel herunterläuft. Um die Finger von dem herunterlaufenden Eis zu ‚verschonen‘, nimmt man diese abweisende Serviette und wickelt sie um das Waffelhörnchen. Diese Serviette hat historisch nicht den Zweck, den Mund abzuwischen, sondern vor Essenssubstanzen zu schützen."

Alternative Eisbecher

Also ist Saugfähigkeit kein Kriterium. Das wurde bereits in mehreren Internetforen hinreichend besprochen. Ein User schreibt: "Die Servietten sind so, damit sie bei Kontamination mit Eis nicht aufquellen und reißen wie eine normale Papierserviette." Gutes Argument, das aber von einem anderen User mit den Worten "Am besten gleich Alufolie nehmen, viel Unterschied ist nicht" zerstört wird.

Auch die Kunden auf der Straße sind nicht happy. Neben einem beliebten Eisladen im ersten Wiener Bezirk (meine Wahl fällt auf Haselnuss, nur falls es für Sie von Interesse ist) frage ich einen Vater, der sich gerade mit seiner Tochter ein Eis geholt hat, was er von den Servietten hält: "Die könnten schon besser sein. Zum Aufwischen sind s' okay, aber die saugen ja nix auf. Die sind von der Qualität her eher wie die Kronen Zeitung", schimpft er.

Er empfiehlt den Becher, um einer größeren Sauerei zu entgehen. Auf dessen Boden sammelt sich ein Großteil des Schmelzeises.

"Ein weiterer Punkt sind die Kosten", erklärt Experte Konschak. "Eine einzelne Serviette kostet umgerechnet 0,003 Euro. Gibt man zu jedem Eis mindestens eine aus, dann summiert sich das." Auf Eisforum.de gibt es 2.000 Servietten für 6,90 Euro.

Greifen Sie ruhig zu! Die Servietten werden Ihnen nur leider trotzdem nicht helfen, wenn Sie sich abwischen wollen.
Foto: Christian Fischer

Doch nicht alle Eissalons führen die unpraktischen Halbplastikservietten. Eine junge Frau zeigt mir das Wischwerkzeug, das sie beim Frozen-Joghurt-Laden nebenan bekommen hat. Eine echte Papierserviette, wenn auch hauchdünn. Ist sie damit zufrieden? "Auf jeden Fall besser als diese Halb-Papier-halb-Plastik-Servietten", sagt sie. Ich vertiefe die Recherche und wähle Pistazie.

"Wir sind halt anders"

Aber es muss doch auch anders gehen. Imbisse, Schnellrestaurants, Würschtelstände setzen doch schon seit immer auf die gute, alte Papierserviette. Warum ausgerechnet die vom Patzfaktor gefährdeten Eisdielen nicht?

Nach einiger Zeit werde ich fündig. In einem veganen Eisladen liegen sie, wie der Heilige Gral, auf dem Tresen: unbedruckte, moderat dicke Servietten aus Papier. Mit denen man sich nicht nur die Mundwinkel ordentlich abputzen, sondern sein Shirt sauber halten kann. "Warum funktioniert das hier und nirgendwo anders?", frage ich die junge Verkäuferin, die sehr wahrscheinlich rein gar nichts mit dieser Entscheidung zu tun hat. "Wir sind halt anders", antwortet sie.

Experte Guido Konschak ortet das Problem weniger in der Serviette, sondern an der Wurzel: "Schnell schmelzendes Eis ist oft ein Hinweis auf eine schlechte Rezeptur." Ich nehme das als neuen Rechercheauftrag. (Thorben Pollerhof, 14.7.2021)