Regierungsklausur im Jänner 2019: Finanzminister Hartwig Löger – vor seiner politischen Karriere Vorstandsvorsitzender der Uniqa Versicherung –, Bundeskanzler Sebastian Kurz (beide ÖVP) und Vizekanzler und damals auch noch FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Zu diesem Zeitpunkt war das neue Versicherungsgesetz bereits in Kraft.

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Es war eine jener Gesetzesänderungen unter Türkis-Blau, die für besonders großes Aufsehen gesorgt haben: Im Juni 2018 beschloss die Koalition mit Stimmen der Neos eine Änderung in Versicherungsvertragsgesetz, Konsumentenschutz- und Versicherungsaufsichtsgesetz. Damit wurde der sogenannte Spätrücktritt bei Lebensversicherungen eingeschränkt. Empörte Reaktionen von Konsumentenschützern waren die Folge, später kippte der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Regelung teilweise. Mehr Freude herrschte bei den Versicherungen, die seit Jahren versucht hatten, derartige Verschärfungen durchzubringen.

Bis zur türkis-blauen Reform war es war ein langer Weg: Bereits im September 2017 brachten die Klubs von SPÖ und ÖVP einen Initiativantrag zur Änderung des Rücktrittsrechtes ein – und schon damals gab es heftige Kritik, weil der SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim den Entwurf ausgearbeitet hatte, während er als Anwalt eine namhafte Versicherung vertrat. Die FPÖ reagierte damals entsetzt und witterte den "großen Sündenfall gegen die Interessen von hunderttausenden Versicherungskunden".

E-Mails und SMS zeichnen nun nach, was die Freiheitlichen zum Umdenken bewogen hat – Aber auch, wie sehr Versicherungen an dem Gesetz zu ihren Gunsten mitarbeiteten und dass der Druck vom eigentlich gar nicht zuständigen Finanzministerium ausging.

Welche Änderungen zur Debatte stehen

Zunächst aber zum Thema Rücktrittsrecht (siehe Wissen unten): Vereinfacht gesagt stand Versicherungsnehmern bei fehlender oder fehlerhafter Belehrung des Versicherers über das Rücktrittsrecht bei Lebensversicherungen ein unbefristetes Rücktrittsrecht zu. In diesem Fall bekam der Versicherte, im Gegensatz zum Rückkauf, auch Prämien und die Bereicherung der Versicherung – also deren Zinsen – dazu. Besonders drängend wurde die Debatte über Rücktrittsrechte im Zuge der Finanzkrise, weil Versicherungsnehmern zuvor oft zu Fremdwährungskrediten geraten wurde. "Doch mit der Finanzkrise verteuerte sich der Schweizer Franken, und die zugesagten Renditen der Versicherungen wurden nie erreicht", sagt der Verbraucherschützer und damalige Nationalratsabgeordnete Peter Kolba (Jetzt). In Österreich gab es zahlreiche solche Fälle. Laut Kolba ist es "moralisch höchst gerechtfertigt, aus einem formalen Fehler der Versicherer" Geld herauszuholen.

Wie sich die Versicherungen wehren

Die Versicherer lobbyierten fleißig für eine Gesetzesänderung. Im Herbst 2017 ist die Änderung des Rücktrittsrechts erstmals greifbar – wird dann aber zurückgezogen. Vereinfacht gesagt sollte das lebenslange Rücktrittsrecht mit dem Antrag verunmöglicht werden.

Das später dann tatsächlich beschlossene türkis-blaue Gesetz schrieb vor, dass bei einem Rücktritt im ersten Jahr nach dem Abschluss die Prämien refundiert werden. Wer aber in den Jahren zwei bis fünf (und danach) vom Vertrag zurücktritt, bekommt nur noch den von der Versicherung berechneten Rückkaufswert, der in der Regel rund 20 bis 40 Prozent unter dem liegt, was man bei einem Rücktritt bekommen würde. Ab dem sechsten Jahr wird dann nur noch der Rückkaufswert abzüglich Stornogebühren erstattet.

Im Fall von fondsgebundenen Lebensversicherungen werden bei Rücktritten die entstandenen Verluste dem Kunden gegengerechnet, also angelastet. Kolba fasst die Gesetzesänderung folgendermaßen zusammen: "Ich kann weiterhin lebenslang zurücktreten, nur habe ich nichts davon."

Forderungen ans Finanzministerium

Wie kam es nun zu der für viele Konsumenten folgenschweren Änderung? Nur wenige Wochen nachdem der Initiativantrag von ÖVP und SPÖ zurückgezogen wurde, schickt der Versicherungsverband eine E-Mail ins Finanzministerium. Darin wird "die dringend notwendige Klarstellung hinsichtlich des Rücktrittsrechts im Bereich der Lebensversicherung auf Grundlage des bereits vorliegenden Initiativantrages vom 20. 9." gefordert.

Das Finanzministerium wird sofort aktiv und meldet sich beim Justizministerium: Die Gesetzesänderung solle ehestmöglich, wenn möglich am 31. 1. 2018, ins Parlament. Das BMJ soll deswegen spätestens zwei Tage vorher einen Entwurf übermitteln. Aus dem Justizministerium folgt eine Absage: Dies sei zeitlich nicht machbar; vorgeschlagen wird eine gemeinsame Besprechung am 25. 1. Nach dieser hält eine BMJ-Mitarbeiterin an einen Abteilungsleiter des Ministeriums per E-Mail fest, dass es sich bei der vorgeschlagenen Regelung zur Berechnung des Rückkaufswerts um den Vorschlag des Versicherungsverbands handle.

Anfang März meldet sich der Versicherungsverband wieder – beim ÖVP-Klub und einem Mitarbeiter des Finanzministerium – mit dem "Vorschlag für einen Abänderungsantrag zum Rücktrittsrecht auf Grundlage des bekannten Initiativantrages". Einen Tag später erhält auch das BMJ den Antrag und empfiehlt in der Antwort "dringend Rücksprache mit dem BKA (Bundeskanzleramt, Anm.)".

FPÖ stellt eine Bedingung

Mitte März bekommt die Opposition Wind davon, dass das Rücktrittsrecht erneut verschärft werden soll. Erste Medienberichte darüber folgen – und auch die FPÖ, nun im Unterschied zum September 2017 Koalitionspartner der ÖVP, reagiert. In einem SMS an seinen ehemaligen Kabinettschef und damals ranghohen Beamten im Innenministerium fragte der damalige Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, ob an der Sache "was dran" sei. Die FPÖ war im Herbst 2017 wie beschrieben schließlich noch strikt gegen die Änderungen. Die Antwort des Beamten: Aus dem Sozialministerium sei nach Rücksprache versichert worden, dass in der nächsten Nationalratssitzung "KEIN Antrag kommt."

Straches Antwort: "Wichtig! Wenn dann will ich im Gegenzug Öffnung des Prikraf bei Privatkliniken! Lg". In der Causa Privatklinikenfinanzierungsfonds (Prikraf) steht Strache bekanntlich aktuell wegen Bestechung und Bestechlichkeit vor Gericht, es gilt die Unschuldsvermutung. Strache hatte hinter den Kulissen dafür lobbyiert, dass die Privatklinik seines Freundes Walter Grubmüller auf die sogenannte Prikraf-Liste kommt. Aber auch die Premiqamed, eine Tochter der Uniqa-Versicherung, war für eine Aufstockung der Prikraf-Mittel; sie hatte zuvor insgesamt 50.000 Euro an die ÖVP gespendet.

Erfolg für den Versicherungsverband

Zurück zu den Lebensversicherungen: Der blaue Beamte behielt recht – das Thema wurde verschoben, die FPÖ wolle "das Thema lösen", dem damaligen Entwurf hätten die Freiheitlichen nicht zugestimmt. Lange dauert es nicht: Ende Mai schickt der Versicherungsverband erneut eine E-Mail, dieses Mal direkt ans BMJ, mit dem Anhang "Gesetzestext Rücktrittsrecht Entwurf", einen Monat später wird der selbstständige Antrag im Plenum beschlossen.

Für den Versicherungsverband ein Riesenerfolg, werden die eigenen Aufgaben auf der Website doch wie folgt beschrieben: "Der VVO ist in Versicherungsfragen erster Ansprechpartner für politische Entscheidungsträger, Institutionen und die Öffentlichkeit und nützt seinen Einfluss auch für die Schaffung von positiven Rahmenbedingungen für seine Mitglieder." Am Mittwoch erhielt der STANDARD beim Verband keine Stellungnahme zur dokumentierten Einflussnahme bei der Gesetzgebung 2018.

Gerichte gegen Versicherungen

Währenddessen wehrten sich Konsumentenschützer bereits öffentlichkeitswirksam und zogen mit mehreren Fällen vor Gericht, die Generali-Versicherung verlor außerdem im Februar 2018 gegen einen Kunden, der sein Rücktrittsrecht verletzt sah. Im Dezember 2019 stellte der EuGH in einer Entscheidung dann erneut wichtige Punkte zum Rücktrittsrecht bei Lebensversicherungen im Sinne der Konsumentinnen und Konsumenten klar – laut Kolba aber nicht umfassend genug.

Der EuGH habe zwar vereinfacht gesagt entschieden, dass es so nicht geht. Allerdings sagt er auch, dass man auf nationale Verjährungsbestimmungen Rücksicht nehmen muss. Und hier entschied der OGH auf drei Jahre, "nicht, wie eigentlich in solchen Fällen notwendig, 30 Jahre", sagt Kolba. Außerdem wurde festgestellt, dass sich die Verzinsung nur auf die Prämien bezieht, die die letzten drei Jahre geleistet wurden. Das Gesetz, wie es am 1. 1. 2019 in Kraft trat, wurde seither also auch nicht "repariert".

U-Ausschuss: Keine Erinnerungen

Die Gesetzesänderung – vor allem in Verbindung mit der Causa Prikraf – war freilich auch Thema im Ibiza-Untersuchungsausschuss. Verschiedenste Auskunftspersonen wurden zu der Gesetzesänderung befragt, erinnern konnte sich allerdings niemand: Zunächst der damalige Kanzleramtsminister und heutige Finanzminister Gernot Blümel, der für die türkise Regierungskoordination zuständig war. Aber auch Thomas Schmid, zu besagtem Zeitraum Kabinettschef im Finanzministerium, hatte "keine Wahrnehmungen" zum Thema. Das gleiche gilt für Matthias Krenn, Vizepräsident der Wirtschaftskammer und Vorsitzender des Verwaltungsrates der Österreichischen Gesundheitskasse, und den damaligen Kabinettschef im Justizministerium, Clemens-Wolfgang Niedrist, der heutige Kabinettschef von Blümel – was bemerkenswert ist, fällt die Gesetzesänderung doch in den Zuständigkeitsbereich "seines" Justizministeriums. Ein Mitarbeiter des Finanzministeriums begründete seine Unwissenheit mit der Zuständigkeit des Justizministeriums.

Und auch Vertreter der Versicherungen konnten sich nicht erinnern: Andreas Brandstetter, Uniqua-Geschäftsführer, sagte, er sei in Gespräche über die Einschränkung des Rücktrittsrechts bei Lebensversicherungen nicht eingebunden gewesen oder könne sich nicht erinnern. Dass die Gesetzesänderung für die Versicherungen sehr bedeutend gewesen sei, gestand er aber ein. Julian Hadschieff, Geschäftsführer der Premiqamed Holding GmbH – einer Uniqa-Tochter –, gab an, das Thema sei ihm unbekannt. (Lara Hagen, Fabian Schmid, 11.8.2021)