Machtdemonstration auf dem Pavianfelsen.

Foto: imago images / Arnulf Hettrich

Also, ich hätte Lust auf ein bisschen Streit. Frisch aus dem Urlaub zurück, mit ganz ungewohnt niedrigem Stresslevel, wollte ich mich deshalb heute mal an ein publizistisches Himmelfahrtskommando wagen und mich mit dem Konzept "Respekt" anlegen. Das ist insofern nicht ganz ungefährlich, als Respekt seit einigen Jahrzehnten als das Allheilmittel bei sozialen Konflikten und der Gleichberechtigung von marginalisierten Gruppen gilt.

In fast allen entsprechenden Debatten liest man als Lösungsvorschlag eine Version davon, dass wir uns alle einfach mehr respektieren sollten und es dann schon irgendwie klappt. Ganz besonders links der Mitte, von wo aus ich Ihnen oft genug textlich zuwinke, ist die Forderung nach Respekt so ubiquitär wie reflexhaft. Mangelnder Respekt wird in diesem Zusammenhang als sichtbarer Beleg einer Geisteshaltung gewertet, die nicht willens oder in der Lage ist, Menschen gleich zu werten und zu würdigen.

Oben, auf dem Pavianfelsen

Diese Einschätzung teile ich. Allerdings bin ich mit Anfang 40 auch schon lange genug Mann, um, auf eine bestimmte Art von Respekt ausgesprochen, allergisch zu reagieren – oder, genauer gesagt, auf eine sehr spezifische Weise der Forderung nach Respekt. "Irgendwann werde auch ich Respekt verlangen, und dann weiß ich auch, wofür", heißt es in dem Song "Integrieren" des Liedermachers Funny van Dannen, und genau darum geht es. Denn diese Forderung wird so fast immer von Männern erhoben und hat damit zu tun, dass Respekt wie ein Tribut gezollt werden soll. Ein solcher Respekt beruht nicht auf gegenseitiger Anerkennung, sondern auf dem einseitigen Einfordern von Ehrfurcht und Unterwerfung.

Es ist eine Machtdemonstration. Jemand glaubt, ganz oben auf dem Pavianfelsen zu sitzen, will sich vergewissern, dass die anderen ihn auch dort sehen, und verlangt "Respekt". Auffällig ist dabei, wie respektlos diese Forderung nach Respekt daherkommt. Sie wird vorgetragen, als gelte es, für den Angesprochenen niederzuknien und den Siegelring der Männlichkeit zu küssen. Dieses Verhalten dient darüber hinaus häufig der Vertuschung von Inkompetenz bei gleichzeitiger Formulierung eines Führungsanspruchs. Oder der Maskierung eines inhaltlichen Vakuums. Ein gutes Beispiel dafür ist die Forderung von Ultra-Fangruppierungen einiger Fußballklubs, man solle doch gefälligst Pyrotechnik legalisieren und Emotionen respektieren.

Faszinierend: Mir war gar nicht klar, dass Bengalos abzufackeln ein Gefühl ist. Ich hatte das bisher eher für eine Handlung gehalten. Wo genau soll es da nochmal an Respekt vor den Emotionen von Fußballfans mangeln? Die können doch fühlen, was sie wollen. Allerdings wäre es halt schöner, wenn sie ihre Freude oder ihre Aggressionen in spontanen Ausdruckstänzen, extemporierten Sonetten auf den Fußball oder Großspenden an die Organisation Ärzte ohne Grenzen ausdrücken könnten. Das hätte den Vorteil, dass diese Dinger nicht immer mal wieder auf dem Spielfeld landen und /oder Menschenleben gefährden würden.

Außerdem wäre es viel respektvoller. Apropos: Tatsächlicher Respekt entspricht eher dem Aggregatzustand einer Beziehung: Wir gehen gemeinsam respektvoll miteinander um! Wenn marginalisierte Menschen Respekt verlangen, tun sie das aus einer Position der Ohnmacht heraus, die sich durch das Bestehen auf gleichen Rechten und Anerkennung nichtheteronormativer Lebenswelten auszeichnet. Diese Paviannummer, die ich meine, ist hingegen einfach nur ein weiteres Gerät aus dem patriarchalen Werkzeugkoffer, mit dem andere auf ihren Platz verwiesen werden sollen. Übrigens – und Sie haben doch nicht wirklich geglaubt, dass ich das hier ausspare – auch Frauen. Oder was glauben Sie, wie hoch die Anzahl der Fälle bei häuslicher Gewalt gegen Frauen ist, wo der Satz "Ich verlange Respekt!" zu irgendeinem Zeitpunkt vom Täter gebrüllt wurde?

Verunsicherte Männlichkeit, die sich nach allen Seiten mit Respektgeboten absichert, ist und bleibt eine Quelle der (Lebens-)Gefahr für Frauen. Dieser Gefahr kann nicht dadurch begegnet werden, dass man prophylaktisch immer auf alle Forderungen nach Respekt eingeht, egal wie herablassend und aggressiv sie vorgetragen werden. Dieser Gefahr begegnet man besten dadurch, dass diesem Verhalten mit größtmöglicher Bestimmtheit eine Absage erteilt und der Pervertierung von Respekt nicht länger tatenlos zugeschaut wird. Dass wir der unterwerfungsbedürftigen Hampelmannversion von Männlichkeit die Erlaubnis entziehen, das Wort "Respekt" für die Legitimation ihrer ungerechtfertigten Machtansprüche auch nur in den Mund zu nehmen. Das wäre genau die richtige Art von Respektlosigkeit, die in diesem Fall angebracht ist. (Nils Pickert, 15.8.2021)