Wer verschuldet ist, fängt vermutlich früher als später an, den täglichen Gang zum Briefkasten zu scheuen. Denn dort warten die gefürchteten Inkassobriefe. Rund 1,2 Millionen Fälle gibt es jährlich in Österreich, die bei Inkassobüros landen, also Firmen, die Schulden eintreiben. Eine davon ist das Wiener Unternehmen Intrum, das etwa 100.000 dieser Fälle bearbeitet. Intrum bezeichnet sich selbst als "verlängerten Arm" von Banken, Telekommunikations- und Energieunternehmen, Krankenhäusern, aber auch von Klein- und Mittelbetrieben. "Wenn Fälle bei uns landen, sind Forderungen meistens bereits drei bis fünf Monate alt", sagt Intrum-Geschäftsführer Marc Knothe zum STANDARD. Bei bis zu 70 Prozent sei man erfolgreich.

Wer zahlt nicht? Knothe teilt die Schuldner in fünf Gruppen (siehe Grafik): "Der Klassiker ist, dass jemand die Rechnung vergisst. Danach kommen Menschen mit kurz- bzw. langfristigen Zahlungsproblemen. Das kann mit Jobverlust, Krankheit, Scheidung etc. zusammenhängen. Hier versuchen wir einen Zahlungsplan zu erarbeiten. Manche wollen das System herausfordern, sie bestellen etwas, zahlen nicht und warten ab, was passiert. Der Betrügeranteil ist mittlerweile verschwindend klein."

Durchaus kreativ seien manche Schuldner bei ihren Ausreden. Man habe keine Erlagscheine für Ratenzahlung mehr gehabt, oder weil man nie eine Mahnung erhalten habe, habe man alles für erledigt gehalten.

Überschuldete Menschen haben Angst, dass plötzlich der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht und Hab und Gut mitnimmt. Doch Inkassobüros verfolgen ein anderes Ziel, der Gerichtsvollzieher sei der letzte Ausweg.
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Schuldner werden jünger

Intrum Österreich ist Teil einer schwedischen Unternehmensgruppe, die in 25 Ländern aktiv ist und einen Jahresumsatz von ca. 1,6 Milliarden Euro erzielt. Wie viel davon auf die einzelnen Länder entfällt, wird nicht verraten. Weltweit beschäftigt Intrum 10.000 Mitarbeiter, 50 davon hierzulande.

Das Unternehmen beobachtet, dass Schuldner immer jünger werden. Die meisten Geldprobleme hätten 30- bis 40-Jährige, danach folgt die Gruppe zwischen 20 und 30. Der Anteil der jungen Verschuldeten habe sich in den vergangenen vier Jahren verdoppelt. Knothe sieht hier ein Problem in der Ausbildung, es müsse ein stärkerer Fokus auf finanzielle Bildung gelegt werden, um junge Menschen vor Schuldenfallen zu bewahren.

"Im Schnitt geht es pro Forderung um 450 Euro", sagt Knothe. "Man muss aber unterscheiden. Wir haben viele Telekommunikationsforderungen mit niedrigen Summen, aber auch etliche Bankforderungen mit viel höheren Beträgen." Wie viel ein Inkassounternehmen für seine Leistungen verlangen darf, ergibt sich aus der Inkassogebührenverordnung. Es beginnt bei 20 Euro und wird sukzessive mehr, abhängig von der Höhe der Forderung.

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Kritik an hohen Kosten

Kritik an den Inkassokosten kommt von der Schuldnerberatung und der Arbeiterkammer (AK). "Gläubiger wälzen die Inkassokosten über einen Schadenersatztitel meist auf die Schuldner ab, und die Kosten sind viel zu hoch. Hier braucht es eine Deckelung, die es aktuell nicht gibt", meint der Chef des Schuldnerberatungsdachverbands ASB, Clemens Mitterlehner. 16.000 Beschwerden gibt es laut AK jährlich wegen der Kosten. Deshalb fordert die Kammer mitunter, dass die erste Erinnerung kostenlos sein soll. Zum Kostenthema laufe laut Mitterlehner gerade eine Debatte im Wirtschaftsministerium.

Weiters kritisiert Mitterlehner die Praktiken, mit denen Inkassobüros arbeiten. "Wer überschuldet ist, wird oft von mehreren Seiten mit Schreiben bombardiert, der psychische Druck ist enorm." Dabei sei bei Überschuldeten kaum mehr etwas zu holen.

"Gläubiger wälzen die Inkassokosten über einen Schadenersatztitel meist auf die Schuldner ab, und die Kosten sind viel zu hoch. Hier braucht es eine Deckelung, die es aktuell nicht gibt"

Tonalität wird angepasst

Knothe zufolge, weiß Intrum meist relativ genau, wer der Schuldner sei, und dementsprechend passe man die Tonalität in den Schreiben an. Neben Briefen bediene man sich auch Kommunikationskanälen wie Telefon, SMS oder E-Mail. Man habe kein Interesse, auf den Gerichtsvollzieher zu warten. Mit einem gepfändeten Fernseher oder Möbeln sei niemandem geholfen. "Ziel ist es, einen Plan vereinbaren, um das Problem zu lösen."

Stundungen oder Ratenzahlungen bieten sich gut an für Leute, die eine Rechnung vergessen haben. Im Insolvenzverfahren jedoch hat ein Inkassounternehmen kein Interesse an einer ganzheitlichen Lösung, sondern an der eigenen Quote. Dementsprechend wird man hier verstärkt versuchen, die eigenen Forderungen durchzubringen.

Aufsichtsorgan gefordert

Mitterlehner vom ASB fordert überdies ein Aufsichtsorgan für Inkassofirmen, "so wie die Finanzmarktaufsicht für Banken". Eine Verbandsklage, wie sie der VKI einreichen kann, sei nicht möglich. Es gibt selbst auferlegte Standesregeln, aber keine Sanktionsmöglichkeiten. Zu den Standesregeln zählen etwa, dass Schuldner nicht am Arbeitsplatz besucht werden, kein übermäßiger Druck aufgebaut und die Forderung immer klar benannt wird.

Insgesamt geht es laut Intrum in Österreich um 500 bis 600 Millionen Euro, die durch Inkassobearbeitung wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt werden und mitunter Liquidität von Firmen sichern. (Andreas Danzer, 26.8.2021)