Ein Mädchen namens Baby ist schwanger und überlegt, wie sie an Geld für die Abtreibung kommt.

Foto: Matthias Heschl

Oxytocin ist ein im Gehirn erzeugtes Hormon, das für die soziale Interaktion von Menschen bedeutsam ist, sowohl zwischen Geschlechtspartnern als auch zwischen Mutter und Kind. Es spielt insbesondere beim Geburtsvorgang eine wichtige Rolle, indem es hilft, die Wehen in Gang zu setzen. Darüber erfährt man am Theater üblicherweise nichts. Rund um diesen magischen "Superkleber" hat die 1987 in Salzburg geborene Autorin Anna Neata ein Stück über Schwangerschaft, Mutterschaft und Abtreibung recherchiert und verfasst, das nun mit Corona-Verspätung Uraufführung im Odeon hatte: eine freshe Mixtur aus Musical und Kasperltheater, eine Produktion des Wiener Schauspielhauses.

Oxytocin Baby ist das Gewinnerstück des Hans-Gratzer-Stipendiums 2020 und läuft, da das Schauspielhaus derzeit als Künstlerhotel fungiert, im Odeon in der Taborstraße. Hier steht in der Säulenhalle der ehemaligen Getreidebörse eine Guckkastenbühne, aus deren Tiefe immer wieder und in unterschiedlichen Formationen ein Babyface-Chor auftaucht und gemeinschaftlich oder vereinzelt spricht und singt, dass einem die Ohren klirren.

Baby, please don't go

Der angeschlagene Ton ist wahrlich bemerkenswert: So unheimlich wie die pausbäckigen Baby-Larven, die die acht Darstellerinnen zu ihren Babydoll-Outfits tragen, modulieren diese auch diverses Popsongmaterial. Es sind dreißig Nummern an der Zahl mit Wort "Baby" im Titel (Cry Baby, Baby please don‘t go, Ice Ice Baby etc.). Grundthese: Allein wenn jemand mit dem Kosewort "Baby" angesprochen wird, schüttet er oder sie das Zuneigungshormon Oxytocin aus. Im Stück trägt die Hauptfigur gleich den Namen Baby. Ihr Problem ist, dass sie schwanger ist und eine Abtreibung will, doch dafür das Geld fehlt, weil sie noch kein eigenes Konto hat und Papa ihr nur müde zehn Euro aushändigt.

Regisseurin Rieke Süßkow hat für den strophig gebauten, lyrischen Text ein formalisiertes Pastelltheater errichtet (Bühne: Mirjam Stängl), dessen strenge Form, straffe Choreografie und Maskenhaftigkeit zwangsläufig auch ein wenig eindimensional wirkt. Das alles aber auf hohem Niveau – etwa so, wie die knallbunten Kunststoffabende von Herbert Fritsch, nur kleiner.

Medizingeschichte

Außergewöhnlich ist also nicht nur das Thema, sondern die Form, in der es präsentiert wird: als puppenhaftes Schwangerschaftsmusical. Auch ein wenig Volkstheater ist dabei, denn Autorin Neata hat historisch nachgeforscht und Medizingeschichte in Theater umgewandelt. Unter anderem erzählt sie im breiten Wienerisch von zwei verurteilten "Engelmacherinnen" der vorletzten Jahrhundertwende, von der Semmelweisklinik und gruseligen Gynäkologen, von Hexenkraft und auch von Susanna Margaretha Brandt, deren Justizfall (Kindstötung) 1772 Goethe als Ausgangspunkt für dessen "Gretchentragödie" diente.

Hier ist eine neue Generation von Theatermacherinnen am Werk, die sich neuen, eigenen Themen widmet und diese mit entschlossenem wie gewagtem ästhetischen Zugriff präsentiert. Originell! (Margarete Affenzeller, 17.10.2021)