Es ist der Kies. Eine Ansammlung grauer, wachteleigroßer Steine. Auf diesem Boden im Bordeaux entstehen seit Jahrhunderten einige der besten, berühmtesten und teuersten Weine der Welt. Hier sieht man keine idyllischen Weinberge mit dicht gesetzten Reben wie in der Wachau oder im Seewinkel.

Auf diesem flachen Plateau im Südwesten Frankreichs stehen die Weinstöcke in kilometerlangen geraden Reihen. Durch diese breiten Zeilen, in denen fast nichts wächst, weil so viel gespritzt wird, könnte man laufen gehen. Das tu ich. Ich laufe. Ich stehe mit meinen Laufschuhen am Rande des Weinguts, das hier Château genannt wird, in St. Émilion, einer Appellation, sprich Herkunftsbezeichnung, am sogenannten rechten Ufer von Bordeaux. Als rechtes Ufer wird das Weinanbaugebiet bezeichnet, das sich rechts der Flüsse Gironde und Dordogne befindet.

Der Blick über einen Weingarten in St. Émilion.
Foto: EPA/CAROLINE BLUMBERG

Ich schaue in die Richtung, in die meine Route führt, und laufe los, von einem Weinstock zum nächsten. Der Boden ist weich und eben, die Landschaft ändert sich nicht.

Ikonen der Weinwelt

Nur ein kleines Schild oder eine in Sandstein gravierte Schrift lassen erkennen, dass man sich hier zwischen Ikonen der Weinwelt befindet. Durch die Gärten von Château Figeac, Cheval Blanc, Évangile und bis hin in die Appellation Pomerol, wo Weingüter wie Pétrus weltweiten Ruhm genießen.

Große Tresterhaufen lassen erkennen, wo die Ernte bereits begonnen hat und die Trauben von den Stängeln, den Trestern, gerebelt, also maschinell abgesondert, wurden. Zu sehen ist niemand, nur das Videoteam auf Cheval Blanc wundert sich über die scheinbar verirrte, schwitzende Besucherin.

Bordelaiser Weingüter wie Château Figeac in St. Émilion gehen neue Wege der Kommunikation und Weingartenarbeit.
Foto: Château Figeac

Dass ich durch diese für Weinconnaisseurs heiligen Gärten laufen kann, erzählt uns etwas über die Lage der Region und ihre Güter. Denn die Châteaux waren dafür bekannt, sich gegenüber der Welt zu verschließen und niemanden hereinzulassen. Das verstärkte den Bordeaux-Mythos: teuer und unerreichbar. Manche Flaschen werden um mehr als 10.000 Euro versteigert.

Zu opulent und kostspielig

Doch Bordeaux hat heute ein Problem. Für die jüngere Generation vor allem in Europa sind die Weine uninteressant geworden – zu opulent und kostspielig. "Die Top-Weine im Bordeaux haben und hatten nie ein Absatzproblem oder finanzielle Sorgen", sagt Katharina Wolf, Geschäftsführerin des Weinhandelsunternehmens Kate & Kon am Attersee.

Die Weine werden in Asien und den USA zu Preisen verkauft, die in Europa ohnehin niemand bezahlt. "Aber der Imageschaden ist groß. Bordeaux hat insbesondere bei den jüngeren Weinliebhabern keinen guten Stand mehr. Sommeliers haben sich sogar gerühmt, Weine aus Bordeaux gänzlich aus ihrer Weinkarte verbannt zu haben."

Doch nun wollen manche Weingüter ihren Heimatmarkt wieder zurückgewinnen und laden offensiv auf ihr Weingut ein. Die Betreiberfamilie Manoncourt lädt sogar Journalistinnen wie mich in die eigenen vier Wände aus dem 17. Jahrhundert auf dem Weingut, was noch vor 30 Jahren einem Ding der Unmöglichkeit gleichkam, wenn man nicht selbst, zumindest fern, mit König Ludwig XIV. verwandt war.

Geänderter Weinstil

Auch der Weinstil hat sich geändert. Jahrelang haben die Châteaux versucht, dem Geschmack des gewichtigen Weinkritikers Robert Parker zu entsprechen. Heutzutage ist diese Art opulenter Weine immer weniger gefragt. Immer mehr Produzenten haben auch das erkannt und keltern heute geradlinige, straffe Weine.

Der Weinstil hat sich geändert.
Foto: Château Figeac

Nicht geändert hat sich das Verkaufssystem. Immer noch werden die Weine schon an Händler und Sammler verkauft, während sie noch in den Fässern reifen. Dieser Handel Jahre vor der Abfüllung heißt "en primeur".

Im Bordelais sind die Rollen noch ganz klar auf Produzenten, Händler und Konsumenten aufgeteilt. Es ist also immer noch wenig sinnvoll, mit dem leeren Kofferraum nach Bordeaux zu fahren, um dort Wein zu kaufen. Denn Ab-Hof-Verkauf existiert durch das "En primeur"-System in Bordeaux nicht, zumindest nicht für großen Weine.

Heißes Pflaster

Zum Umdenken zwingt der Klimawandel. Trockenheit, später Frost und Hitze sind neue Herausforderungen, denen sich die Weinmacher im Bordeaux heutzutage stellen müssen. Frédéric Faye ist der Chef-Winemaker auf Château Figeac.

Er berichtet von einer der aufregendsten Nächte in seiner gesamten Weinmacherlaufbahn: "Am 15. Mai 2020 hatten wir einen derartigen Temperaturabfall, dass wir von drei Uhr früh weg die ganze Nacht hindurch hunderte Kerzen in den Weingärten aufstellten, um den Frost zumindest von der Traubenzone wegzubekommen."

Jetzt habe nur nicht jedes Weingut, auch nicht jedes in Bordeaux, die finanziellen Kräfte, schnell einmal 30 Menschen um drei Uhr früh aus dem Bett zu klingeln, um Kerzen in den Weingärten zu platzieren. Ebenso wenig, wie in die Technik zu investieren, die bei immer häufiger auftretender Hagelgefahr die besagten brandgefährlichen Eiskügelchen direkt in den Wolken in Regen umwandelt. Das seien alles Wetterphänomene, die man vor der klimabedingten Erderwärmung nicht kannte, so Faye.

Zu viel Zucker

Kürzlich wurde für Qualitätsweine aus Bordeaux sogar die Rebsorte Touriga Nacional zugelassen. Diese stammt aus Portugal, einer traditionell wärmeren und trockeneren Gegend. Der Bedarf dafür wurde anscheinend auch in Bordeaux angemeldet.

Faye vom Château Figeac möchte der Herausforderung des Klimawandels mit den in der Region klassischen Rebsorten begegnen, um die Identität der Weine zu wahren. Die Tradition auf Figeac, mehr Cabernet Sauvignon als Merlot im Verschnitt zu haben, komme ihnen nun zugute, sagt der Kellermeister. Denn Merlot verträgt Hitze besonders schlecht. Die Trauben lagern zu viel Zucker ein, die Weine werden alkoholreich und breit.

Rote Trauben am ersten Tag der Weinlese im Chateau Certan de May in Pomerol.
Foto: AFP/THIBAUD MORITZ

Mit der Arbeit im Weingarten wie auch durch die hauseigene Zucht von Rebklonen, also der gezielten Vermehrung von Weinstöcken, die den klimatischen Herausforderungen besonders gut gewachsen sind, begegnet man dieser Challenge auf Château Figeac. Dafür, dass die jungen Weintrinker davon auch Wind bekommen, sorgt eine veränderte, zugänglichere Art der Kommunikation einiger großer Châteaux.

Moderneres Weinverständnis

Auf der einen Seite gibt es einige Generationswechsel im Gebiet. Menschen gelangen ans Ruder, die ein moderneres Weinverständnis pflegen als ihre Vorgänger. Auf der anderen Seite existiert die Tradition großer ausländischer und vor allem gesichtsloser Investoren weiter.

Trotzdem ist es jetzt immerhin durch manche Bordelaiser Weingüter möglich, auch ohne millionenschwere Konten gute Weine aus einer der traditionsreichsten Weinregionen der Erde trinken. Möglich war das immer, nur langsam weiß auch die junge Generation, gemeint sind Weintrinker bis zu einem Alter von 45 Jahren, darüber wieder Bescheid.

Laut der Weinhändlerin Wolf beginnen die guten Qualitäten in Bordeaux bei etwa 20 Euro für die Flasche. Die lange Lagerung und die in der Regel aufwendige Produktion kosteten eben. Und dann müsse man sich raufarbeiten. Am besten im Austausch mit anderen Weinfreunden.

Denn, so Katharina Wolf: "Man kann zwar sagen, dass Beethoven einem persönlich nicht zusagt, man kann aber nicht sagen, dass er kein guter Musiker war. Genauso wenig kann man sagen, dass Bordeaux keine gute Weinregion ist." Und schon gar nicht kann man das sagen, wenn man die Musiker oder Weine gar nicht kennt. (Nina Wessely, RONDO, 25.10.2021)