Attila Hildmann wird in Deutschland behördlich gesucht.

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Hunderttausende Euro Steuerschulden und Kontakte in der Staatsanwaltschaft: Schon im September 2021 gab die Hackergruppe Anonymous bekannt, einen umfassenden Datenbestand zu Attila Hildmann ergattert zu haben. Damals war noch unklar, was dieser enthalten könnte, jetzt stellt sich heraus: Die Daten gewähren einen Blick hinter die radikale Kulisse des prominenten Verschwörungserzählers – und bieten einen Einblick in seine rasche Radikalisierung.

Mehr als zwei Terabyte soll der Datensatz umfasst haben, der dem "Spiegel", dem NDR-Format "STRG_F" und der ARD zugespielt wurde. Teile davon sind auch für Behörden einsehbar, sollen für weitere Ermittlungen genutzt werden.

Interessant ist dabei: Das Material stammt von Hildmanns ehemaligem IT-Administrator Kai Enderes. Zeitweise war dieser enger Vertrauter und Wegbegleiter des früheren Vegankochs, auch heute bezeichnet er sich weiterhin als Verschwörungserzähler. Von Hildmanns zunehmendem Extremismus distanziert er sich inzwischen jedoch öffentlich, auch gegenüber den oben genannten Medien.

Geschäftsprobleme und Steuerschulden

Die Dokumente legen offen, dass Hildmann entgegen eigenen Darstellungen schon vor Pandemiebeginn Geschäftsprobleme und hunderttausende Euro Schulden angehäuft hat, berichtet der "Spiegel". Doch nicht nur das: Die Daten zeigen, dass er einen Kontakt in der Berliner Staatsanwaltschaft hatte, der ihn vor Ermittlungen zu seiner Person warnte und mit Informationen versorgte.

STRG_F

Schon im Jänner 2020 schuldete Hildmann dem Staat laut einem Schreiben des Finanzamts Eberswalde 112.450,90 Euro. Zwei Monate später, als im März in Deutschland der erste Lockdown verhängt wurde, beantragte er deshalb Soforthilfen. Schon am Tag darauf erhielt er 15.000 Euro von der Investitionsbank Berlin – die er später wieder zurückzahlen musste. Offenbar hatte er gar keinen Anspruch auf das Geld.

In der Zwischenzeit waren seine Steuerschulden auf fast 200.000 Euro angewachsen, gleichzeitig verlangte der Stromanbieter Vattenfall 20.679,48 Euro, der Fruchtsafthersteller Voelkel, ein früherer Kooperationspartner Hildmanns, sogar mehr als 275.000 Euro.

Beleidigung und Widerstand

Auch die ersten Konflikte mit dem Gesetz fanden nicht in seiner Rolle als Galionsfigur der Corona-Leugner statt. Stattdessen wurde er schon 2019 wegen Beleidigung und Widerstands gegen die Beamten zu sieben Monaten auf Bewährung verurteilt. Zuvor hatte er offenbar Polizisten angeschrien und beleidigt, weil sie ihm einen Strafzettel ausgestellt hatten. Als Grund für sein Verhalten nannte Hildmann seine "finanziellen Probleme mit seinen Lokalen", die ihm "über den Kopf gewachsen" seien.

Hinzu kam, dass Lebensmittelkontrolleure im Rahmen einer Routineuntersuchung in seinem Berliner Imbiss "ekelerregende" Zustände feststellten. Demnach seien die Frittierkörbe durch eingebrannte Rückstände verkrustet und die Kühlfächer verunreinigt gewesen.

Millionenumsätze und locker bezahlbare "Kleinigkeiten"

Gegenüber dem "Spiegel" bestreitet Hildmann all das, stattdessen hebt er hervor, Millionenumsätze mit seinem Biounternehmen gemacht zu haben, die offenen Rechnungen bezeichnet er als locker bezahlbare "Kleinigkeiten". Er sei erst dann abgestraft worden, als er die "Wahrheit" über Corona gesagt habe, woraufhin etliche Einzelhändler seine Produkte aus dem Sortiment nahmen.

Etwaige Forderungen des Finanzamts seien Gegenstand eines offenen Rechtsstreits, offene Rechnungen will er eigenen Aussagen nach in Zukunft alle begleichen, sobald er sein Unternehmen im Ausland wiederaufgebaut hat. Allerdings, so wirft er ein, "wird mir bald die Kundschaft fehlen, denn wir erleben aktuell einen Spritzenmassenmord", wie er die Corona-Impfung gegenüber dem "Spiegel" bezeichnet.

Kai Enderes kam erstmals im Juli 2020 ins Spiel. Damals, so berichtet er heute, habe er in Hildmanns veganem Imbiss gegessen und sei mit ihm ins Gespräch gekommen. Noch am selben Abend verkündete Hildmann auf Telegram, jetzt einen IT-Berater zu haben, kurz darauf lud er diesen in seine Villa in Wandlitz bei Berlin ein.

Hildmann "ein Guter"?

Heute sagt Enderes, nur einen Teil von Hildmanns Ansichten, etwa die Behauptung, dass die Pandemie ein Fake sei, zu teilen. Weil er die Corona-Politik kritisch beäugte, habe er anfangs geglaubt, dass Hildmann vielleicht "ein Guter" sei und zu Unrecht als Nazi bezeichnet werde. Doch: Nur wenige Tage nach dem Kennenlernen nannte Hildmann unter anderem Hitler einen "Segen für Deutschland im Vergleich zu Merkel".

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Als sich zunehmende Aufmerksamkeit der Ermittlungsbehörden abzeichnete, trat er außerdem mit dem rechten Szeneanwalt Wolfram Narath in Kontakt, der unter anderem den Neonazi Ralf Wohlleben verteidigte. Dieser verschaffte dem NSU eine Mordwaffe. Für die Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit überschrieb Hildmann dem Anwalt seinen Porsche 911 GT3, mit dem 70.000 Euro an Vergütungen abgedeckt seien, heißt es in den Dokumenten.

In Telegram-Nachrichten tauschten sie sich laut "Spiegel" außerdem darüber aus, dass man das deutsche Blut reinhalten müsse. Hildmann soll außerdem eine Sprachnachricht verschickt haben, in der er ausführte, dass man "die dreckigen Juden abzufackeln" habe.

Maulwürfe in der Staatsanwaltschaft

Über den Ermittlungsstand der Staatsanwaltschaft soll er erstmals im November 2020 informiert worden sein, wie aus einer Telegram-Nachricht hervorgeht. Eine unbekannte Kontaktperson schickte Hildmann mehrere Aktenzeichen zu laufenden Verfahren gegen seine Person.

Als die Berliner Staatsanwaltschaft im Februar dieses Jahres schlussendlich einen Haftbefehl wegen Volksverhetzung und weiterer Straftaten erließ, wusste Hildmann bereits davon. Mitten in der Nacht verbreitete sich eine Nachricht auf Telegram, dass "wegen des Aussprechens der Wahrheit" ein Haftbefehl gegen ihn vorliege. Die Staatsanwaltschaft spricht von einem Maulwurf, die Ermittlungen laufen. Schon damals scheint sich Hildmann in der Türkei aufgehalten zu haben. Dort befindet er sich noch immer.

Enderes sagt heute, dass er sich erst dann zur Weitergabe von Hildmanns Daten an die Behörden entschieden habe, nachdem er immer mehr Hitler-Bilder auf dessen Handy gefunden habe. Er wolle nicht ruhen, bis "dieser Mann ungefährlich für diese Gesellschaft wird", berichtet der "Spiegel". Sein Ziel? Hildmann hinter Gitter bringen. (mick, 3.11.2021)