Sie gehen bis zum Äußersten: Werner Schwabs Gaststätten-Stammgäste.

Barbara Pálffy

Wien – Das Theater hat alle Hände voll zu tun, sein Publikum zu halten. Gemeint ist damit nicht nur die fundamentale Zäsur durch die Covid-Pandemie, sondern der stetig wachsende Konkurrenzkampf mit anderen Medien und Erzählformaten, die bequemer rezipierbar und manchmal weniger voraussetzungsreich sind. Netflix und Co haben in den letzten Jahren gute Arbeit geleistet, sie ziehen heute Theaterpersonal wie Publikum ab. Das ist aber nicht der Grund, warum Regisseur Ernst Kurt Weigel seit zehn Jahren Dramenklassiker mit Hollywoodfilmen kreuzt. Denn Netflix bleibt Netflix, und Theater bleibt Theater.

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Geschichtslosigkeit beim Publikum

Die Verknüpfung von Filmstoffen mit Theaterstücken, die Mash-up-Methode, bezeichnet der Leiter des Bernhard Ensemble als probates Mittel, um neue Anknüpfungspunkte für Werke zu finden und sie so weiterzudenken, sie neu hochzufahren, mit anverwandten Figuren und Welten zu konfrontieren. Auf diese Weise fanden auf der Off-Theater-Bühne in den letzten Jahren folgende schöne Paare zusammen: David Lynch und Arthur Schnitzler, Lars von Trier und Jura Soyfer, David Fincher und Franz Molnár oder auch die Coen-Brüder und Johann Nestroy. Nicht zu vergessen der glorreiche Regiehasardeur Quentin Tarantino und der Kunstsprachenartist Ödön von Horváth: Wiener.Wald. Fiction. Dafür gab es 2014 sogar eine Nominierung für den Nestroy-Preis.

Selbst wenn Film als das populärere, weil auch internationalere Medium gilt, hat diese Mash-up-Praxis nichts mit Niederschwelligkeit am Hut. Denn auch Filmgeschichte will rezipiert sein, und da ist, so Weigel, seit einigen Jahren eine sachte Geschichtslosigkeit beim Publikum zu bemerken. "Keiner kennt Ridley Scott!", sagt er im STANDARD-Gespräch etwas zerknirscht. In der jüngsten Arbeit, die am Dienstag zum zehnjährigen Mash-up-Jubiläum im Off-Theater in der Kirchengasse in Wien Uraufführung hatte, gehen der Science-Fiction-Klassiker Blade Runner und Werner Schwabs makabres Volksstück Übergewicht, unwichtig: Unform auf Tuchfühlung.

Innereien auspacken

Kurz gesagt: Die Replikantenjagd aus dem Actionfilm von 1982 setzt sich in der österreichischen Gaststätte des Grauens fort, in der ein seltsam schönes Paar die Stammgäste völlig verstört und zum Äußersten treibt. Im Off-Theater spritzen die Innereien. Als Reminiszenz an die schweißtreibende Mission Harrison Fords baut Weigel in seine Inszenierung auch beachtliche Akrobatikszenen ein.

Das Theater bedient sich zunehmend Stoffen außerhalb seiner genuinen Literatur; Romanadaptionen gibt es wie Sand am Meer. Gerade das freie Theaterschaffen sieht sich gezwungen, Markenzeichen auszubilden, um mit vergleichsweise geringen finanziellen Mitteln im immer dichter werdenden Markt unverwechselbar zu sein. "Das Theater ist eine ganz schöne Fabrik geworden", so Weigel. Es ist schwer, gegen das Immer-mehr und Immer-schneller anzukämpfen und dennoch weiterhin bestehen zu können. Mit dieser speziellen Form der Intertextualität hat sich die Gruppe jedenfalls einen guten Weg gebahnt. (Margarete Affenzeller, 4.11.2021)