"Aktien sind nicht das bessere Sparbuch", sagte der Ökonom Oliver Picek vom Momentum-Institut im Gastkommentar. Agenda-Austria-Ökonomin Heike Lehner hält nun dagegen: "Wer sich vom Kapitalmarkt wegen fehlenden Wissens abschrecken lässt, nimmt sich selbst eine Chance zum Aufstieg."

Am Weltspartag gehen plötzlich die Wogen hoch. Braucht es das Sparbuch noch? Gibt es je wieder Zinsen? Wie gelingt er, der Vermögensaufbau? Linke Ökonomen wie Oliver Picek vom gewerkschaftsnahen Momentum-Institut sehen, wie eigentlich immer, einen Klassenkampf: die reichen Aktienfans auf der einen, die armen Sparbuchfans auf der anderen Seite. Dieses Schwarz-Weiß-Denken führt aber völlig am Problem vorbei.

Das Thema ist nicht: "Sparbuch versus Aktien". Die eigentliche Frage ist: Wie kann ich mein Geld für meine individuelle Lebenssituation idealerweise einsetzen? Wo kann ich den Lohn abspeichern, den ich für meine Arbeit erhalten habe? Wie kann ich mich vor der Geldentwertung schützen? Auf diese Fragen gibt es keine Pauschalantwort.

Auch kleine Beiträge lassen sich am Aktienmarkt investieren.
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Die aufkeimenden Debatten haben vor allem einen zentralen Grund: die negativen Realzinsen auf dem Sparbuch. Die Zinsen abzüglich der Inflation liegen seit Jahrzehnten unter null. Und das wird sich in den kommenden Jahren nicht bessern. Eher im Gegenteil. Das bedeutet im Klartext: Wer sein Geld auf dem Sparbuch oder Konto rumliegen lässt – oder sogar in Form von Bargeld bunkert –, verliert an Kaufkraft. Jeden Tag, jede Woche, jeden Monat.

Dennoch bleibt das Sparbuch beliebt. Es ist ein simples Instrument, man versteht es. Über 300 Milliarden Euro der Österreicher liegen auf Sparbüchern oder dem Konto. Alternativen zu diesem garantierten Verlust gibt es zwar schon viele. Sie sind aber ganz klar mit mehr Risiko behaftet. Mehr Risiko bedeutet aber auch mehr möglichen Gewinn.

Wie viel Risiko?

Vermögensanlagen gibt es heutzutage wie Sand am Meer. Von den vielen Angeboten kann man sich schnell überfordert fühlen. Schlussendlich geht es aber nicht darum, jede einzelne Option genauestens zu analysieren – sondern darum, sich bewusst zu werden, wie viel Risiko man auf sich nehmen kann und möchte. Wie viel kann ich monatlich auf die Seite legen? Muss ich es jederzeit sofort griffbereit haben? Was würde passieren, wenn dieses Ersparte auf einmal weg wäre?

Natürlich ist es immer sinnvoll, einen Notgroschen sicher und griffbereit auf der Seite auf dem Sparbuch oder dem Konto zu haben. Diese Funktion des Sparbuchs wird immer wichtig bleiben. Das würden nicht einmal der eingefleischteste Aktienfan abstreiten.

Aber weil es darüber hinaus Optionen braucht, sind diese längst am Markt entstanden. In den Medien taucht das oft als Spekulation auf, weil gerade junge Anleger große Risiken eingehen und auf "Meme-Stocks" wie die Aktien von Game Stop oder AMC wetten. Aber die "langweilige" Alternative gibt es auch. Dank breit gestreuter Indexfonds, die in Europa meist als ETFs auftauchen, ist es Kleinanlegern heute möglich, weltweit zu investieren – bei sehr geringen Kosten. Auch kleine Beträge lassen sich so bereits investieren. Auch hier sind höhere Risiken zu erwarten als beim Sparbuch – aber statt eines garantierten Verlusts bekommt man die historisch gut begründete Chance auf langfristige Rendite.

Kein Tabuthema

Ob Sparbuch, ETFs, Einzelaktien, Gold oder Immobilien: Wichtig ist, dass man sich bewusst ist, wie man sein Geld investiert – oder eben nicht. Und wenn man spart, sollte man wissen, wie seine persönliche Risikoeinstellung ist und welche Konsequenzen sich aus diesen Entscheidungen ergeben. Damit geht einher, dass Geld in der Schule kein Tabuthema mehr ist. Dass Vermögensaufbau klar thematisiert wird. Bereits im Kindesalter lässt sich das Thema Geld spielerisch vermitteln. Dabei geht es nicht darum, Menschen in Aktien zu drängen oder das Sparbuch zu verteufeln. Sondern darum, ihnen die nötigen Werkzeuge zu geben, damit sie selbst entscheiden können, wie sie ihr Geld anlegen.

"Finanzbildung, Aufklärung und Information sind
so wichtig wie nie zuvor."

Viele haben diese Werkzeuge nicht und lassen ihr Geld auf dem Sparbuch liegen. Nicht aus bewusster Entscheidung, sondern weil sie es nicht besser wissen. Aber immer mehr Menschen verstehen, dass das keine langfristige Strategie sein kann. Finanzbildung, Aufklärung und Information sind so wichtig wie nie zuvor. Wer sich vom Kapitalmarkt wegen fehlenden Wissenn abschrecken lässt, nimmt sich selbst eine Chance zum Aufstieg.

Anstatt anderen seine eigene Risikoeinstellung aufzudrücken, ist es an der Zeit, offen über Geldanlage zu sprechen. Über die Bedeutung des Sparens in der Gesellschaft. Die Rolle von Schulden und Konsum. Das gelingt in vielen anderen Ländern viel besser als bei uns. Aber wir sollten deshalb nicht aufgeben. Das Thema Finanzbildung wird uns in den kommenden Jahren immer öfter begegnen. Je früher, desto besser. Aber es ist nie zu spät, damit anzufangen. (Heike Lehner, 5.11.2021)