In dem multimedialen Netzzeit-Musiktheater "Fugen" in den Soho Studios wird William Gibsons Cyberpunk-Romantrilogie "Idoru" verarbeitet und bearbeitet.

Foto: Nora Bischof

Es ist in Wien kulturell doch so einiges los. Mutmaßt man zudem, dass der Appetit des Publikums, maskiert Kunst zu genießen, durch die neuesten Höhenflüge der Infektionszahlen nicht unbedingt befeuert wird, braucht es Argumente, um auch die kleinen Massen in Bewegung zu setzen. Warum also sollte jemand zur Netzzeit-Produktion Fugen in die Soho Studios pilgern? Nora Scheidl will jedoch keine Sensationen verkünden. Sie führt die "spannenden Klangwelten von Elisabeth Schimana" an und findet, es sei "erstaunlich, wie gut William Gibsons Idoru-Trilogie unsere fragmentierte Welt beschreibt".

Gibsons Cyberpunk-Romantrilogie wird im Rahmen von Wien Modern multimedial verarbeitet: "Die physischen Körper der Besucher und Besucherinnen wie der Protagonisten vernetzen sich mit den Augen einer Tablet-Installation", heißt es da. Die Beobachter werden also zu den Beobachteten, während "die Stimmen von acht abwesenden Körpern" aus dem Science-Fiction-Text erzählen. Dabei geht es um Viren, Drogen, Waffen, Daten, Menschmaschinen, Nanotechnologie und um die Autonomie des Individuums.

Wen der Themenmix dazu motiviert, die Produktion zu beehren, nimmt auch teil an einem Abschiedsfestival: Netzzeit, also Michael und Nora Scheidl, hört mit dieser Auflage von Out of Control auf, geht gewissermaßen nach mehr als drei Jahrzehnten in Pension. Eine Förderabsage der Stadt Wien hat nichts damit zu tun. Netzzeit, unvergessen etwa das Projekt Symposion, das auch bei den Salzburger Festspielen die Konsumverbindung von Musikmoderne und Alkohol zu kultivieren half, hat zuletzt nämlich gar nicht um Subventionen angesucht.

Werkzeug der Kunst

Natürlich gäbe es "noch viel zu erzählen, aber dazu muss ich nicht selbst produzieren. Die Produzententätigkeit bindet künstlerische Kräfte", sagt Nora Scheidl. "Netzzeit ist lediglich ein Werkzeug zur Herstellung von Musiktheater der Gegenwart", findet Michael Scheidl, wobei sich die Mittel "durch Gebrauch abnutzen. Es wird Zeit für neue Werkzeuge – bedient von jüngeren Generationen. Außerdem wurde der bürokratische Zeitaufwand immer größer."

In diesem Sinne kann Scheidl nachkommenden Kunstbesessenen, die sich in der freien Szene etablieren wollen, auch etwas mitgeben: "Orientiert den Umfang und Aufwand eurer Projekte an den Mitteln, die ihr verfügbar habt – sonst bleibt die Kunst auf der Strecke! Wenn ihr zu 80 Prozent mit Administration, Finanzierung, Imagepflege und Werbung beschäftigt seid, bleiben nur noch 20 Prozent eurer Zeit für die Kunst." Selbige sehe dann so aus, wie sie aussehen muss: professionelle Verpackung, wenig Inhalt. "Arbeitet mit Menschen zusammen, die Lust auf die 80 Prozent haben, da sie ein Herz, aber kein Talent für Kunst besitzen!"

Eine Art Chorprobe

Was ihn betrifft, scheint der Regisseur eine gewisse Erleichterung über das Ende zu verspüren. Das allererste Mal seit der Zeit nach seiner Matura ist er "nicht mit dem Planen von Projekten beschäftigt, die in zwei, drei oder vier Jahren stattfinden", sagt Scheidl, um natürlich gerne auf den Reiz der nahenden Produktionen zu verweisen. Etwa Alles kann passieren (8. 11., Radiokulturhaus). Es sei eine Art Chorprobe mit Musik von Norbert Sterk und einem Libretto von Doron Rabinovici, in der es um "rechte Stimmungsmache geht, die gleichermaßen lächerlich wie gefährlich" sei. Ob sie nun "von einem Politiker kommt oder von einem Dirigenten".

Nicht bei Wien Modern, aber Teil von Out of Control natürlich One Way: Das Stück beginnt wie ein Tatort, der während einer Zugreise die Absurdität einer Rocky-Horror-Show erlangt. Man sollte das sehen, findet Scheidl. Schließlich gäbe es nichts "Verwunderlicheres, aber auch nichts Komischeres, als anderen dabei zuzusehen, wie sie sehenden Auges in ihren Untergang rasen."

Dominanz der Klassiker

Das ist natürlich nicht grundsätzlich das, was Netzzeit zu bieten hat. Scheidl , der Erfahrene, hat natürlich auch Ideen, was an Verbesserungen struktureller Art für die freie Szene wichtig wären. "Es gibt ein großes strukturelles Problem in Wien und Österreich: Es gibt zwar relativ viel Geld für die Kunst der Gegenwart im Vergleich zu vielen anderen Städten und Staaten, aber viel zu wenig Geld für die Kunst der Gegenwart IN RELATION zur Kunst der Vergangenheit. Vor dem Hintergrund einer erdrückenden riesigen traditionellen Kunstproduktionsmaschine fristet das Zeitgenössische das Dasein eines Davids gegen Goliath. Solange sich da nichts ändert, wird die darstellende Kunst in Wien und Österreich insgesamt ein immer bedeutungsloseres Dasein fristen und endgültig zur Disneyworld der Klassik für Touristen verkommen. "

Aber, so Scheidl, "vielleicht gibt´s ja mutige Politiker und Politikerinnen, die sich nicht nur um faire Bezahlung für Künstler und Künstlerinnen bemühen, sondern auch um faire Bedingungen für die zeitgenössische Kunst. Sowohl bei Einführung fairer Bezahlung, als auch bei Gleichstellung der Gegenwartskunst mit der klassischen würden allerdings einige und einiges auf der Strecke bleiben. Aber das ist ja immer so und sollte in einem der reichsten Länder der Welt auch mit geeigneten Übergangsfristen sozial verträglich zu gestalten sein."

Bühnenbildnerin Nora Scheidl findet immerhin "sehr gut, dass mit FairPay die prekären Lebenssituationen von vielen Künstlerinnen in der freien Szene so langsam ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden. Ich hoffe, dass auf diesem Sektor noch viel passieren wird." (Ljubiša Tošic, 6.11.2021)