Wenn man in Europa über den Umgang mit der Vergangenheit spricht, insbesondere mit dem Zweiten Weltkrieg, verwendet man vor allem Begriffe wie Opfer, Täter, Kollaborateure und Zeugen. Doch wie unser Projekt über "Globalisierte Gedenkmuseen", in dem wir 50 Museen weltweit miteinander vergleichen, zeigt, werden diese Begriffe auf anderen Kontinenten manchmal überhaupt nicht verwendet. Im Yûshûkan, dem japanischen Militär- und Kriegsmuseum im Yasukuni-Schrein in Tokio etwa, gibt es weder Opfer noch Täter.

Yasukuni-Schrein, auf dessen Gelände sich das Yûshûkan-Museum befindet.
Foto: Frauke Kempka

Die japanischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg, die Verbrechen etwa an der chinesischen Bevölkerung beim Massaker von Nanjing 1937 begangen haben, werden nicht als Täter begriffen. Stattdessen präsentiert sie das Museum als liebevolle Alltagsmenschen, die durch unglückliche politische Entwicklungen zu ehrenvollen Kämpfern in einem ungewollten Krieg wurden. Ebenso wenig finden sich Opfer, etwa der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki 1945, im Yûshûkan. Die USA werden in Bezug auf die Abwürfe nicht als Täter dargestellt, da dies den diplomatischen Beziehungen beider Länder schaden würde. Bereits dieses erste Beispiel zeigt, dass für uns selbstverständliche Kategorien nicht umstandslos in andere Kontexte übersetzt werden können.

Private Zeugnisse

Aber die Frage, ob es eine globale Sprache der Erinnerung gibt, kann auch auf Sprache jenseits von Worten und Texten zielen, etwa auf die Formsprache in Gedenkstätten und Museen, auf Ästhetik von Ausstellungen und auf Methoden, eine Geschichte zu erzählen. Ein neuerer Trend, der in immer mehr Museen weltweit zu beobachten ist, ist das Ausstellen von (Kriegs‑)Geschichte mithilfe individueller Biografien der Verfolgten, ihrer für private Zwecke aufgenommenen Fotografien, biografischer Objekte oder schriftlicher Vermächtnisse. Hätte man früher vor allem Helden, berühmte Persönlichkeiten oder Widerstandskämpfer in den Mittelpunkt gestellt, so sind es heute vielfach ganz durchschnittliche Akteure, die zum Beispiel auf raumhohen Installationen voller Privatfotos gezeigt werden.

Dieser Trend ging von Holocaust-Museen wie demjenigen in Washington, D.C., aus. Dort finden sich in einer mehrere Stockwerke umfassenden Installation Fotografien, die die Enkelin des Dorffotografen eines 1941 ausgelöschten jüdischen Dorfes im heutigen Litauen jahrelang gesammelt und dann dem Museum überreicht hat.

Der "Tower of Faces" im US-Holocaust-Gedenkmuseum.
Foto: Zuzanna Dziuban

Solche individuellen Zeugnisse, auch Zeichnungen oder Tagebucheinträge von Verfolgten, sind zu einem mächtigen Mittel für Museumskuratoren geworden, weil sie Empathie mit den Verfolgten wecken können. Wände mit Privatfotografien – ähnlich dem amerikanischen Vorbild – finden sich heute in vielen anderen Museen weltweit, vom Women’s Action Museum in Tokio, das den Opfern der Zwangsprostitution für die japanische Armee gewidmet ist, bis zum Kigali-Genozidmuseum in Ruanda.

Auffällig an dieser globalen Sprache der Erinnerung, wenn es um Ausstellungsästhetik und Musealisierungstechniken geht, ist, dass aller Ähnlichkeit zum Trotz die Botschaft der Museumsinstallation selbstredend für den jeweiligen nationalen oder lokalen Kontext abgewandelt wird. Ja mehr noch: Unter Rückgriff auf internationale Vorbilder lassen sich fast beliebig weit davon abweichende, nationalistische oder geschichtsrevisionistische Botschaften transportieren.

Ein anderer Fokus

Beim Ausstellen von Privatfotos der Verfolgten geht es darum, im Gegensatz zu früheren Darstellungen anonymer Massen oder Leichenberge, die Opfer so zu zeigen, wie sie selbst sich ausgesucht hatten, porträtiert zu werden. Und nicht so, wie zum Beispiel Täter sie stereotyp oder in erniedrigender Weise abbildeten, etwa in Unterwäsche Sekunden vor der Exekution. Am Beispiel des Museums Haus des Terrors in Budapest zeigt sich, wie eine mehrstöckige Installation mit Porträts jener in Washington auf den ersten Blick stark ähneln kann, bei näherem Hinsehen jedoch eine völlig gegensätzliche Botschaft vermittelt.

Im Haus des Terrors in Budapest.
Foto: Ljiljana Radonić

Das Museum in der ungarischen Hauptstadt befindet sich in jenem Gebäude, in dem zuerst die Pfeilkreuzler, also die ungarischen NS-Kollaborateure, und nach 1945 dann die sozialistische Staatssicherheit, Menschen folterten. Die mehrstöckige, mit "Opfer" überschriebene Installation enthält – im Gegensatz zum amerikanischen Holocaustmuseum – keine Privatfotos, sondern erkennungsdienstliche Aufnahmen, also von Tätern gemachte Fotos der Verfolgten. Sie zeigen ausschließlich Opfer der sozialistischen Staatssicherheit und der Sowjets, die Opfer aus der NS-Zeit werden trotz der Geschichte des Hauses ausgeklammert. Am Boden unterhalb der Installation befindet sich ein sowjetischer Panzer, der nahelegt, dass die Sowjets für diese Opfer verantwortlich seien. Außerdem sind die Fotos im Gegensatz zu Privatfotos völlig uniform gestaltet. Die vielen Verfolgten verschmelzen in diesem nationalistischen, von Premier Viktor Orbán initiierten Museum also zum Kollektivopfer Ungarn – und verschwinden dadurch wieder aus dem Fokus.

Die Geschichte aus der Perspektive der Verfolgten zu erzählen erweist sich als ein starkes Instrument in den Händen der Museumskuratoren. Für manche Gruppen von Verfolgten wie Romnja und Roma erlaubt es erstmals, frei von Stereotypen, viele individuelle Geschichten zu erzählen. Doch es ist auch ein weltweit gängig gewordenes Machtmittel, das je nach aktuellen Bedürfnissen der Gegenwart für nationalistische oder geschichtsrevisionistische Zwecke transformiert werden kann. Selbstredend verfolgt jedes Museum mit seiner Dauerausstellung einen Zweck und will eine bestimmte Geschichte erzählen. Die Frage ist aber, wie stark sich diese Sprache der Erinnerung vom aktuellen Stand der historischen Forschung entfernt, etwa um eine "patriotische" Geschichte zu erzählen. (Ljiljana Radonić, 10.11.2021)