Zweifellos gibt es Denkmäler und Ortsbezeichnungen, bei denen Tabula rasa die einzig sinnvolle Lösung ist. Die Tilgung, der reine Tisch, signalisiert den Bruch mit der Geschichte. Offene NS-, Austrofaschismus- oder Stalinismus-Huldigungen sind daher selten bewahrenswert für den öffentlichen Raum, sie gehören ins Museum und vieles ins Depot.

Denkmal des Wiener Jahrhundertwende-Bürgermeisters Karl Lueger in der Wiener Innenstadt.
Foto: APA/HERBERT PFARRHOFER

Komplexer verhält es sich aber mit dem Streit um den prägenden Wiener Jahrhundertwende-Bürgermeister Karl Lueger und sein Denkmal in der Wiener Innenstadt. Ja, Luegers Antisemitismus wurde viel zu lange mit der Phrase, der Mann sei "ein Kind seiner Zeit" gewesen, abgetan. Heute weiß man besser denn je, wie sehr Luegers Judenhetze etwa den jungen Hitler beeinflusste. Man weiß auch, wie populistisch Lueger mit dem antisemitischen Motiv spielte – im Gegensatz zu Hitler gar nicht so sehr vom Wahrheitsgehalt seiner Aussagen überzeugt, sondern viel mehr von deren politischer Wirkung.

Als Prototyp des modernen populistischen Politikers ist dieser Lueger gerade für das Heute eine der lehrreichsten historischen Figuren. Es ist daher nur umsichtig, dass die Stadt Wien sich nun gegen eine Beseitigung seines Denkmals entschieden hat und stattdessen plant, es mit künstlerischen Mitteln ins rechte Licht zu rücken. Es ist gut, dass die Figur des "Volkstribuns" Lueger als Lehrbeispiel dafür, wie Populismus funktioniert, im öffentlichen Raum sichtbar bleibt. (Stefan Weiss, 8.11.2021)