Alter, Räume, Epochen: Für Safira Robens stellt das Theater Verbindungen zwischen ihnen allen her.

Irina Gavrich

Was muss ein Schauspieler alles können? Kampfsport und Klavier? Luftakrobatik und Einrad? Französisch, Spanisch, Englisch? Oder Rheinländisch, Badisch, Ruhrpottisch? Nichts davon! Und doch ist es die Summe aller ausgebildeten Vorlieben und erworbenen Fertigkeiten, die genau jene Persönlichkeit ausmacht, welche einer Rolle oder einer Performance Gewicht verleiht. Safira Robens hat von Luftakrobatik bis Ruhrpottisch alles im CV stehen, auch Grundkenntnisse in Arabisch, Niederländisch, Italienisch und Kikongo, setzt aber ganz woanders an, wenn es um ihr Schauspiel geht.

Selbst wenn ein Darsteller auf der Bühne scheinbar reglos bleibt, sagt sie, fließe alles ein, was diesen Menschen ausmache und was er oder sie in seinem Leben so zusammengetragen hat. Kurz: Es geht am Theater nicht um Könnerschaft, sondern um ein alchemistisches Meeting! Das muss erklärt werden. Zunächst einmal ist Safira Robens, 1994 im deutschen Herdecke zwischen den Ruhrseen geboren, ein zutiefst denkwütiger Mensch. Antworten schüttelt sie nicht aus dem Ärmel, sondern forscht beim Reden genau nach. Dass sie ihre Überlegungen immer schon auch niedergeschrieben hat – von Gedichten über Notizen bis hin zu Theaterentwürfen –, ist nur logisch. Seit dieser Spielzeit ist sie neu im Burgtheaterensemble.

Ein 2.000 Jahre altes "Oi"

Also was ist das Alchemistische am Theater? Aufführungen seien, so Robens, interdisziplinäre Veranstaltungen von alchemistischem Charakter, denn sie erzeugen – gemäß der naturphilosophischen Lehre – Reaktionen aller Art: zwischen den Kunstsparten, zwischen Bühne und Publikum und sogar zwischen den Zeiten. In ihren Worten: "Theater ist ein magischer Schauraum, der Alter und Epoche irrelevant macht". Die Möglichkeit, ein kleines Io, Ai, Oi oder Ui aus der griechischen Dichtung von vor über zweitausend Jahren heute nachempfinden zu können, begeistert die 27-Jährige.

"Der Mensch wiederholt sich immer wieder, er will sich über die Jahrhunderte verständlich bleiben", sagt sie. Deshalb gehören die Theatergeschichte und ihre kanonisierten Werke zum allerersten Interessengebiet der Schauspielerin. Hamlet war am Max-Reinhardt-Seminar ihre erste Wunschrolle. Den Abschluss an der Wiener Schauspielschule macht sie 2022.

Das Studium der Philosophie und der romanischen Philologie liegt bereits hinter ihr. Portugiesisch ist Robens' zweite Muttersprache – ihre aus Angola stammende Mutter wuchs in Portugal auf, der Vater ist Deutscher. Die Familiengeschichte hat die Künstlerin dazu gezwungen, aber auch darin bestärkt, diverse Sichtweisen, Prägungen und Erfahrungen zusammenzudenken. Saßen Mutter und Großvater am Tisch, so war das ein Gespräch von unterschiedlichen Menschen, die sich "zugleich wahnsinnig ähnlich" sein konnten, sagt sie. Auch das Theater sei ein Ort des Zusammendenkens.

Menschliche Skulptur

Widersprüche waren für die junge Frau stets normal. Sie verlangen eine Beweglichkeit im Denken, die zu Zeiten enger werdender Wissenskanäle nicht gerade üblich ist. Dazu Robens: "Mich interessiert der Perspektivenwechsel bzw. eine Geschichte oder ein Krieg oder ein wirtschaftliches Abkommen aus unterschiedlichen Perspektiven." Ein Beispiel aus ihrem Studium: deutscher Idealismus aus afrikanischer Sicht.

Apropos Luftakrobatik. Theater müsse nicht "superkörperlich" sein, um lebendig zu werden. Safira Robens vertraut auf die Kraft der Literatur, die "den Menschen auch zur Skulptur macht und ihn in Worten festhält". Das hat sie am Burgtheater schon bewiesen, bevor sie in diesem Herbst ins Ensemble wechselte. Sie war in Martin Kušejs erster Spielzeit bei Jelineks Ibiza-Stück Schwarzwasser dabei, später dann im historischen Gerichtsdrama Das Himmelszelt. Im Oktober ist nun Simon Stones Komplizen-Inszenierung hinzugekommen; und ab Samstag spielt Robens die Titelheldin in Zoes sonderbare Reise durch die Zeit, einem Familienstück ab sechs Jahren im Akademietheater.

Den Berufswunsch ihrer Mutter, Ärztin, hat Safira Robens, verfehlt. Aber nicht ganz, denn sie betrachtet – analog zu den einst im antiken Theatrum formulierten hippokratischen Eiden – auch das Theater als Raum mit Heilungspotenzial. Die Bühnenwelt ist jedenfalls um eine außergewöhnliche neue Fürsprecherin reicher. (Margarete Affenzeller, 11.11.2021)