Wallys (Izabela Matula) Gefühle sind echt, seine auch, aber Hagenbach (Leonardo Capalbo) begreift es noch nicht. Tragisch.

Foto: Prammer

Von einer Verkettung glücklicher Umstände lässt sich schwer sprechen: Mutterlos mit einem brutalen Vater aufgewachsen, wurde aus Wally zwar ein wildes Mädchen, das so manch groben Lackel in die Schranken weist. Unbeugsam weigert sie sich, dem Papawunsch zu folgen und Gellner zu ehelichen. Sie zieht lieber ins hochalpine Naturexil, um erst nach dem Tod ihres Vatis herabzusteigen.

Von da an jedoch geht es steil bergab: Wallys Herzensbub Hagenbach demütigt sie beim Kusstanz, worauf sie sich Gellner hingibt, den sie zum Mord an Hagenbach auffordert. Dieser gelingt zwar nur halb, Hagenbach erholt sich vom Sturz in die Schlucht und versöhnt sich mit Wally. Bevor die Liebelei ins Happy End münden kann, setzt jedoch eine begrabende Lawine der Beziehung ein Ende.

Was diese Nacherzählung beweisen soll: Von der Papierform her wäre das eine doch spannende Geschichte. Weder szenisch noch musikalisch jedoch bäumt sich das Werk an dieser finalen Tragikstelle zu einem besonderen Höhepunkt auf, und Alfredo Catalanis Oper (nach Wilhelmine von Hillerns Erfolgsroman Die Geier-Wally aus dem Jahr 1873) ist daran selbst schuld.

Große leere Geste

Abgesehen von dem einen genialen Blitzeinschlag, der Wally-Arie Ebben? Ne andrò lontana, ist es handwerklich tadellose Musik, die allerdings nach Giacomo Puccini ohne Puccini klingt. Sie kommt also stilverwandt mit großer Geste daher, wirkt dabei jedoch recht inspirationsblass und dramaturgisch von Szene zu Szene immer schlaffer.

Regisseurin Barbora Horakova Joly vermag an der beschwerenden Wirkung des Werkes nicht wirklich etwas zu ändern. Auf welligem, alpines Hügelland andeutendem Boden gelingt ihr zu Beginn zwar eine muntere, leicht ins Karikaturenhafte sich aufschwingende Charakterisierung des unwirtlichen Milieus (Bühne und Kostüme: Eva-Maria Van Acker):

Tote Tiere

Die Frauen häuten tote Tiere, während sich die Männer ihren Alltag wegsaufen; und auch sonst wird das Erdige nicht vorenthalten. Speck schmatzende Mäuler finden sich filmisch in Zeitlupe und Großaufnahme so deftig porträtiert wie blutige Jägerhände.

Es herrscht ästhetisch somit eine Art stilisierter Naturalismus vor, der allerdings nicht konsequent durchgehalten wird. Vielmehr kollidiert, um nicht zu sagen, fremdelt er mit einer etwas aufgesetzt wirkenden Abstraktheit. Ein baugerüstartiges Metallgebilde mit herabfließendem Wasser wird da zum Ort, an dem die einsame Wally (Izabela Matula bewältigt die Partie respektabel) ihr inneres Drama konventionell zu Ende erlebt.

Viele Stereotype

Auch die Männer werden nicht in ihrem szenischen Potenzial erfasst: Die Regie verharrt auch bei Gellner (klangschön, noch einer der Besten des vokal nicht exzeptionellen Abends: Jacques Imbrailo) im Opernstereotyp, gleichfalls bei Jäger Hagenbach (solide Leonardo Capalbo). Dass seine Schwester Afra (Sofia Vinnik) wiederum an einer dramatischen Stelle einen expressiven Zitteranfall erleidet, gehört zu den eher grotesk wirkenden Übertreibungen. Das Ganze hatte gute Ansätze, die Regie öffnet jedoch Ideentüren, ohne durch diese zu gehen. Lieber öffnet sie eine andere Tür, und es verwandelt sich etwa eine Leinwand langsam zum abstrakten Vogel, der allerdings wie ein Papierflieger wirkt.

Delikate Klangbalance

Da waren die Wiener Symphoniker unter ihrem Chefdirigenten Andrés Orozco-Estrada ein Lichtblick. Frei von emotionaler Vereisung vereinte man Impulsivität und Subtilität, gab sich delikat bezüglich der Klangbalance. Dennoch war man deutlich bemüht, diese von Leere nicht freie Musik mit Dramatik und Poesie aufzuladen. (Ljubiša Tošic, 15.11.2021)