Wer es nicht sowieso schon immer getan hat, lernte es hoffentlich dank Corona: regelmäßiges Händewaschen.

Foto: Werner Krug

Die Corona-Pandemie war und ist auch eine große gesellschaftliche Lehreinheit. Ein Crashkurs in Sachen Health Literacy, womit Gesundheitskompetenz gemeint ist. Noch nie war so vielen Menschen, vom Kleinkindalter aufwärts, so bewusst, wie wichtig es etwa ist, sich regelmäßig die Hände zu waschen, auf Nieshygiene zu achten oder dass Abstand und Masken vor unterschiedlichsten Virusinfektionen schützen. Nicht nur vor Coronaviren, auch Grippe- und andere Viren wurden im vergangenen Jahr, das ganz im Zeichen der Corona-Prävention stand, in Schach gehalten – durch letztlich ganz simple, aber sehr effektiv gesundheitsfördernde Verhaltensmaßnahmen.

Gleichzeitig zeigt die im internationalen Vergleich unterdurchschnittliche Covid-Impfbereitschaft in Österreich jedoch auch ein Defizit an Gesundheitskompetenz, weil viele Menschen offenbar nicht über ausreichendes Wissen über die Wirksamkeit und den Wert einer Covid-Impfung verfügen.

Pandemie als Motor

Was also tun, nicht nur mit Blick auf die akute Pandemie? Das deutsche Robert-Koch-Institut (RKI) schrieb im Juli in seine "Empfehlungen zur Vorbereitung und Prävention" für den Herbst und Winter 2021/22 unter dem Punkt "Gezielter Einsatz von Public-Health-Maßnahmen" den Satz: "Auch ergibt sich die Chance zur Einrichtung eines Schulfachs Gesundheitserziehung."

Ein Vorschlag, den die Public-Health-Expertin Daisy Kopera von der Med-Uni Graz auch für Österreich anregt. Die Corona-Pandemie solle genutzt werden, um die allgemeine Gesundheitskompetenz zu verbessern, sagt die Dermatologin, die in Graz den Unilehrgang Health Education (Gesundheitserziehung) leitet, im STANDARD-Gespräch: "Es sollte Ziel der Bildungs- und Gesundheitspolitik sein, in jeder Bildungseinrichtung, vom Kindergarten an über die Schule bis zu Erwachsenenbildungseinrichtungen, eine Gesundheitserzieherin oder einen Gesundheitserzieher zu haben, weil spezifisches Wissen vor Krankheiten schützt, nicht nur vor Covid."

Gesundheitskompetenz sei übrigens etwas anderes als Gesundheitsbewusstsein, betont Kopera: "Gesundheitskompetenz hat mit Wissen zu tun, dass man gewisse Zusammenhänge versteht, dass ich durch mein Verhalten mir selbst schaden oder aber etwas Gutes tun kann." Die Ärztin appelliert daher an die Bundesregierung, aktiv zu werden. Covid-19 könne eine Chance sein, jetzt auch folgenschwere Zivilisationskrankheiten wie Übergewicht oder Fettleibigkeit, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen anzugehen. Auch ihnen könne man mit kleinen Verhaltensänderungen wie gesünderer Ernährung oder mehr Bewegung beikommen.

Leid und Geld ersparen

"Es wäre so einfach, sich selbst und der Gesellschaft, der Volkswirtschaft insgesamt, viel Leid und auch Geld zu ersparen, indem man der Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention mehr Bedeutung einräumt."

Darum plädiert die Präventionsexpertin für ein Unterrichtsfach Gesundheitserziehung: "Jedes Kind sollte wissen, was vernünftige Lebensführung ausmacht und dass es in der Eigenverantwortung der Menschen liegt, ihre eigene Gesundheit als besonderen Wert zu achten und dementsprechend zu pflegen."

Der Unilehrgang für Gesundheitsbildung an der Med-Uni Graz versteht sich als ein Baustein dazu, indem er Multiplikatoren für ein fundiertes Gesundheitsbewusstsein ausbilden will. Seit 2014 gibt es den Master of Health Education, im Wintersemester 2020/21 startete eine berufsbegleitende Variante.

Politik muss Thema Gesundheit forcieren

Wie man politisch das Thema Gesundheit forcieren könne, habe die vorige Grazer Stadtregierung vorgemacht, sagt Kopera, die selbst ÖVP-Gemeinderätin ist. In Graz wurde nämlich 2021 zum Jahr der Bewegung und des Sports erklärt, in dem verständlich gemacht werden sollte, wie sich die Bevölkerung vor Zivilisationskrankheiten schützen kann.

Auch der Public-Health-Experte und Epidemiologe Hans-Peter Hutter von der Med-Uni Wien macht sich für mehr Gesundheitsbildung stark. Das noch relativ junge Health-Literacy-Konzept erklärt er so: "Es geht um die Fähigkeit, Informationen, die für mich gesundheitsrelevant sind, zu finden und zu verstehen. Fakten von Fake-News zu unterscheiden. Das Thema Covid-19-Impfung ist ein Beispiel dafür, dass überraschend viele Menschen das nicht können. Da hat die Corona-Pandemie große Mängel in unserer Gesellschaft radikal offengelegt. Und natürlich hängt das stark auch davon ab, was in der Schule gelernt wurde", sagt Hutter.

Glaubwürdige Impfluencer

Entscheidend sei die Verständlichkeit von Gesundheitsdaten und -informationen: "Das ist im Fall der Corona-Pandemie noch vergleichsweise einfach, und dennoch ist es uns offenkundig nicht gelungen, die gesamte Bevölkerung mit entsprechenden Informationen über diese Krankheit zu versorgen. Was es dringend schon von Anfang an gebraucht hätte, ist zielgruppenspezifische Kommunikation", betont der Epidemiologe.

Wenn etwa nur Ärztinnen und Ärzte auftreten, dann erreiche man damit nur eine bestimmte Zielgruppe. "Für Jugendliche aber bräuchte man zum Beispiel Rapper oder Fußballer, die in entsprechenden Jugendgruppen hohe Glaubwürdigkeit besitzen und auch mitmachen." Quasi Impfluencer statt Influencer. Das gelte für viele Themen, verweist Hutter, der auch Umweltmediziner ist, zum Beispiel auf Greta Thunberg, die als streikende Schülerin dem Thema Klimaschutz einen entscheidenden Boost gegeben habe.

Infodemie und Fake-News

Beginnen müsse man generell im Bildungssystem: "Wir haben nicht nur im Zusammenhang mit Corona eine regelrechte Infodemie, eine Überflutung mit Informationen, darunter viele Fake-News und oft auch völliger Blödsinn oder gefährlicher Unsinn. Da müssen wir überlegen, wie man das als Querschnittsmaterie über alle Fächer in den Unterricht einfließen lassen kann, sodass die Kinder und Jugendlichen lernen, sich damit zurechtzufinden, und die richtigen Schlüsse für ihr Leben und konkret ihre Gesundheit ziehen können. Das setzt kritisches Denken sowie Eigenverantwortung für sich selbst und andere voraus – und das muss man lernen." (Lisa Nimmervoll, 22.11.2021)