Das Wiener Juridicum ist nicht gerade dafür bekannt, es Studierenden leichtzumachen. Kommerziellen Anbietern kommt das gelegen.

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Postings auf Facebook, Flyer beim Uni-Eingang und Plakate in der Aula: Wer am Wiener Juridicum Rechtswissenschaften studiert, wird vom ersten Tag an von privaten Kursveranstaltern umgarnt. Angebote für Nachhilfe an Unis sind an sich nichts Ungewöhnliches. Die Professionalität der Anbieter lässt aber so manchen Studienanfänger fragend zurück: Brauche ich diese Rechtskurse? Sind die Prüfungen sonst nicht machbar? Reichen Unikurse nicht aus?

Derzeit gibt es in Wien drei große, institutionalisierte Veranstalter. Die Kurse kosten je nach Prüfung und Dauer zwischen 200 und 500 Euro. Die Marketingstrategie der Unternehmen ist klar: Mit uns schafft ihr die Prüfung. Im Studium seid ihr besser und nicht zuletzt: schneller. Wir wissen, wo die Schwerpunkte liegen und was die Professoren hören wollen. Gelockt wird zudem mit Spezialangeboten: Wer eine Prüfung nicht schafft, bekommt sein Geld zurück. Aber halten die Kurse tatsächlich, was sie versprechen?

Zufall oder Insiderinfo?

Jus-Student Lorenz Kutscha-Lissberg kennt mittlerweile alle Anbieter. Die Qualität der Kurse variiere stark und sei vor allem von der Teilnehmerzahl abhängig. "Kurse mit 100 Leuten sind im Prinzip wertlos", sagt Kutscha-Lissberg. Ganz anders sei das bei kleineren Veranstaltungen mit weniger als 20 Studierenden gewesen. "Das waren richtige Nachhilfekurse, in denen die Teilnehmer individuell betreut wurden. Die würde ich definitiv wieder machen." Das Betreuungsverhältnis war für Kutscha-Lissberg auch der wichtigste Grund, die privaten Lehrveranstaltungen den offiziellen vorzuziehen.

Auch Absolventin Antonia Kuhn hat vor großen schriftlichen Prüfungen stets Rechtskurse belegt. "Ich habe immer viel gearbeitet und nicht die Zeit gehabt, über das ganze Semester Kurse an der Uni zu besuchen", sagt Kuhn. "Die Rechtskurse haben mir sehr viel Lernaufwand erspart." Die Kursleiter hätten zumeist relativ genau gewusst, was zur Prüfung kommt. "Entweder sie haben richtig geraten oder hatten Insiderinfos", sagt Kuhn. Einmal habe ein Vortragender gesagt, dass er sich sehr sicher sei, welche Aufgabenstellung geprüft werde. "Der Fall bei der Prüfung war dann eins zu eins wie der im Kurs."

Soziale Selektion

"Die Nachfrage ist da", sagt Elisabeth Wu, Vorsitzende der Fakultätsvertretung der Jus-Studierenden an der Universität Wien. Wu sieht die Kurse aber kritisch: "Private Rechtskurse sind sozial selektiv, weil es sich einfach nicht alle leisten können und dementsprechend dann Prüfungen nicht schaffen."

Die Verantwortung sieht sie aber beim Juridicum selbst: Die Kurse seien auch deshalb so beliebt, weil das Angebot der Uni nicht ausreiche. Gerade Klausurenkurse zur Vorbereitung für schriftliche Prüfungen seien oft überfüllt. "Und wenn man nur einen Klausurenkurs hat, bei dem man nicht hineinkommt, ist die Alternative halt der Rechtskurs", sagt Wu. Nicht zuletzt aufgrund des Leistungsdrucks, der an der Fakultät vorherrsche, fühlten sich manche Studierende gezwungen, zu privaten Anbietern zu gehen.

Gerüchte als "Marketingschmäh"

Dekanin Brigitta Zöchling-Jud teilt die Sorgen der Studierendenvertretung nicht. Dass die Rechtskurse so florieren, führt sie unter anderem auf deren Kommunikation zurück. "Ich glaube, dass sich da eine Industrie entwickelt hat, die sehr gutes Marketing betreibt nach dem Motto: Du kannst Jus nur studieren, wenn du einen Rechtskurs besuchst." Auf den Werbeflyern lese man etwa von einer "Erfolgsgarantie".

Das Juridicum selbst biete ausreichend Lehrveranstaltungen vor Prüfungen an. Kapazitätsgrenzen bei Vorbereitungskursen gebe es außerdem nur insofern, dass etwa bei Klausurenkursen nicht immer alle Testklausuren kontrolliert werden können; alle, die teilnehmen wollen, könnten das aber. Würden alle Angebote des Juridicums genützt, brauche niemand einen Rechtskurs, ist die Dekanin sicher. Die Gerüchte, wonach Rechtskurse Insiderinfos hätten, bezeichnet Zöchling-Jud als "blöden Marketingschmäh", der aber streng genommen den Vorwurf des Amtsmissbrauches darstelle, weshalb am Juridicum viele nicht gut auf die Kurse zu sprechen seien.

Alexander Pichler hält es für "nahezu ausgeschlossen", dass jemand Insiderinfos über Jus-Prüfungen an der Uni Wien bekommt. Der Absolvent des Wiener Juridicums, der dort auch selbst unterrichtete, betreibt seit sieben Jahren mit einer Kollegin das Institut "Der Juscoach", in dem er Erwachsenenbildung und Rechtskurse für Studierende anbietet. Etwa 500 bis 700 Studierende buchen bei ihm jährlich einen Kurs, 90 Prozent der Studierenden hätten bei der darauffolgenden Prüfung auch ein positives Ergebnis, sagt Pichler.

Er sieht sein Angebot als Ergänzung zur universitären Lehre, die Beweggründe der Studierenden, die zu ihm kommen, sind verschieden: Manche kommen, weil es für sie besser mit ihrem Beruf vereinbar ist, manche wollen tiefer in die Materie und manche wollen einfach eine bessere Note.

Von unethischen Versprechen

Seine Kurse kosten zwar bis zu 280 Euro, sozial selektiv sei sein Angebot aber nicht, meint Pichler. Die Kurse hätten einen niederschwelligen Zugang, der vielen auch helfe, einen Fuß ins Juridicum zu bekommen, "gerade weil nicht jeder am Esstisch mit den Eltern darüber diskutiert, ob die Covid-Maßnahmen verfassungsmäßig sind". Besonders Personen ohne akademischen Hintergrund profitierten von der Arbeit in Kleingruppen und könnten mit den Kursen aufschließen. "Sich mal Hilfe zu holen, wenn ich in einem Fach nicht weiterkomme, ist nicht unethisch", sagt Pichler. "Wenn ich jemandem sage: 'Du musst das machen!', dann ist das unethisch." Aber darüber, was andere Kursveranstalter machen, maße er sich kein Urteil an. (Jakob Pflügl, Levin Wotke, 23.11.2021)