Emmy Werner gründete vor 40 Jahren das Theater Drachengasse.

Foto: Regine Hendrich

Wien – Als Emmy Werner 1981 das Theater in der Drachengasse am Fleischmarkt in Wien eröffnet hat, wurden Regiearbeiten von Frauen noch mit spitzen Fingern gehandelt. "Frau führt Regie" lautete die Überschrift in einer Zeitung. Wie wurde aus einem Tapeziererlager eine Bühne? Und was hat sich am Theater in diesen 40 Jahren geändert?

STANDARD: Sie trugen 1977 einen Button mit der Aufschrift "The Future is Female". Angesichts heute aggressiv geführter Meinungskriege: Wie gefährlich war das damals?

Werner: Es war nicht ungefährlich. Was glauben Sie, was ich da für Reaktionen bekommen habe? Heute ist es aber wohl noch gefährlicher, weil die Aggressionsbereitschaft gestiegen ist. Ich hatte damals vor allem Angst vor dem Liebesentzug. Man wird ja sofort abgestempelt. Wir wollten und wollen ja kein Matriarchat, das würde vielleicht auch schrecklich sein, aber wir mussten Umverteilungskämpfe führen. Und auch heute ist es noch so: Man muss sich als Frau immer harmloser machen, als man ist.

STANDARD: Welche Reaktionen haben Sie damals erhalten?

Werner: Ein Jugendfreund, der mir später übrigens sehr geholfen hat, schaute auf meinen "The Future is Female"-Button und sagte ganz ruhig: "Aha, aber in so einer Zukunft möchte ich nicht leben." Das war ein echter Schlag. Das Theater Drachengasse war ein Produkt genau dieser Stimmung, einer freundlichen, aber bestimmten allgegenwärtigen Ablehnung von Frauen. Auf dieser Bühne aber konnten Frauen endlich Theater machen. Ich stieß mit der Gründung auch in eine Marktlücke.

STANDARD: Sie wuchsen in einem ermutigenden Umfeld auf, auch wenn Sie Ihren Vater, den Autor Hans Werner, einen Patriarchen nannten.

Werner: Er war ein kleiner Patriarch, weil es die Zeit so von ihm verlangt hat. In Wahrheit unterstützte er mich in allem. Meine Mutter aber hatte meinem Vater immer das Butterbrot gestrichen. Ich dachte mir, wieso streicht sich der Papa das nicht selbst!?

STANDARD: Dabei hat Ihr Vater für Ihren Werklfrau-Auftritt gedichtet: "Bist a Mann, machst a Mittagsschlaferl / bist a Frau, stehst beim Abwaschschafferl".

Werner: Ja! Und wenn ich ihm gesagt hab’, das sei ein emanzipatorisches Lied, dann hat er erstaunt gefragt: "Wieso?" Meine Mutter, gesegnet mit Humor, meinte: "Jetzt schreibt er da kritisch alles rein, was er mich z’ Haus hat machen lassen!"

STANDARD: Wie hat die Politik damals auf Ihre Theatergründung reagiert?

Werner: Die Männer-SPÖ konnte damit nichts anfangen. Die Funktionäre waren eigentlich fassungslos. So ein Theaterbetrieb war für sie unvorstellbar. Klar, es ist unangenehm, wenn Neue an den Tisch kommen, denn dann wird der Kuchen kleiner. Zum Glück gab es Johanna Dohnal und Hilde Hawlicek, aber auch viele andere Frauen und Männer haben uns damals unterstützt. Es wird bis heute weltweit so schlecht umgegangen mit Frauen. Ich bin heute zu alt für die Barrikaden, aber manchmal denke ich mir, ich geh jetzt hin zum Stock-im-Eisen-Platz und halte eine Brandrede. Deshalb ist es so wichtig, dass inzwischen jede abfällige Bemerkung gegenüber Frauen, jede übergriffige Geste tatsächlich schwieriger geworden ist. Die Frauenmorde weltweit sind ja Ausdruck einer tief wurzelnden Misogynie.

STANDARD: In Ihrem Buch "... als ob sie Emma hießen" (2018) umschließen Sie ganz unterschiedliche Epochen. Würden Sie sagen, es hat sich in diesen 80 Jahren vieles geändert?

Werner: Ich erlebte als Kleinkind noch die Diktatur, den Krieg mit den Bomben, hatte eine Nazi-Lehrerin, spürte die Angst meiner Eltern, wenn es an der Tür klopfte, auch noch Jahre später. Und ich kann sagen, dass ich Hunger gelitten habe. Angst und Hunger kann man aber niemandem vermitteln. Mich beunruhigt heute noch jeder Flugzeuglärm. Also, natürlich hat sich viel geändert. Es wurde gesellschaftspolitisch Entscheidendes weiterentwickelt, aber man darf auch die Stagnation nicht unterschätzen. Wir machen viele Schritte wieder zurück. Etwa jetzt in der Pandemie.

STANDARD: Themenwechsel. Sie hatten der Quotenregelung im künstlerischen und kulturpolitischen Bereich gegenüber stets auch Vorbehalte. Noch immer?

Werner: Der Fall Lunacek als Kulturstaatssekretärin war so ein Beispiel. Da heißt es, wir suchen dringend eine Frau, und da wird dann auch eine genommen, die vielleicht nicht ideal ist. Andererseits, kaum scheitert eine Frau, heißt es genüsslich: Na eben, es geht ja doch nicht! Auch die Drachengasse und das Sichtbarmachen von Regisseurinnen wurden damals nicht gewürdigt. Es wurde eher belächelt, eh klar, es gab fast nur männliche Kritiker und Entscheidungsträger. Wehe ich hätte später im Volkstheater nach zwei oder drei Jahren aufgeben müssen, das wäre ein ganz fürchterliches Fallbeispiel gewesen. Jetzt in der Verklärung bin ich auf einmal die Größte.

STANDARD: Frauen dürfen also keinesfalls scheitern?

Werner: Leider! Es ist eine Zumutung, dass du als Frau unbedingt sehr gut sein musst, sonst schadest du den anderen Frauen. Mein Nachfolger am Volkstheater hat über vier Jahre gebraucht, um Fuß zu fassen – da wäre jede Frau schon abberufen worden. Der ihm nachfolgenden Anna Badora hat man das jedenfalls nicht gegönnt. Der jetzige Direktor Kay Voges genießt gewiss auch eine andere Vorschussschonung als Badora. Oder Andrea Eckert als Leiterin der Raimund-Festspiele Gutenstein: Ich vermute, sie wurde deshalb weggemobbt, weil sie ausschließlich Frauen inszenieren ließ.

STANDARD: Sie haben es sich einst als Chefin der Drachengasse zur Aufgabe gemacht, verstärkt Autorinnen zu spielen: Käthe Kratz, Lida Winiewicz, Marguerite Duras usw. War es schwierig, diese Autorinnen zu finden?

Werner: Ehrlich gesagt, ja. Denn sie waren ja nicht am Markt. Sogar Verlage haben sich damals für das Geschlecht ihrer Urheberinnen halb entschuldigt und im Gespräch dann angefügt, diese seien "trotzdem gut". Ich hatte zum Glück sehr belesene Mitarbeiterinnen, u. a. Gertraud Auer, Eva Langheiter. Man musste suchen! Erika Molny, Christine Nöstlinger, Margarethe von Trotta, Ingeborg Bachmann, Brigitte Schwaiger. Es war eine echte Aufbruchszeit, die ich heute so nicht mehr sehe, auch nicht am Theater.

STANDARD: Sie meinen, die Zeiten für das Theater sehen nicht so gut aus?

Werner: Mir fehlen die einfachen Geschichten am Theater. Im großen Gerangel mit den neuen Medien muss das Theater genau diese Kompetenz betonen: die gemeinsame Konzentration, das gemeinsame Atmen. Theater ist eine Alternative zur Kirche, einer der uns noch verfügbaren Meditationsräume. Darin steckt seine Überlebensfähigkeit. Theater ist auch ein Fluchtort.

STANDARD: Während das Burgtheater Elfriede Jelinek vorerst verprellte, haben Sie sie am Volkstheater als Dramatikerin bekannt gemacht. Wie ging das vor sich?

Werner: Claus Peymann hat seinen Fehler eingestanden und später wieder gutgemacht. Aber auch ich war da wenig selbstbewusst und habe wie mit vorgehaltener Hand herumgedruckst: "Sagts einmal, sollten wir vielleicht, ... die Jelinek?" – "Na ja, echt? Aber wie sollen wir das spielen?" – "Na, Krankheit oder Moderne Frauen, das ist doch witzig!" – Peymann war übrigens fürchterlich als Direktorenkollege. Er nannte mich "die Verrückte jenseits des Rings". Wir haben uns inzwischen altersversöhnt, vielleicht hatte er früher auch ein bisserl Angst vor Frauen.

STANDARD: Warum haben Sie eigentlich als Schauspielerin aufgehört?

Werner: Ich habe die Regisseure nicht ausgehalten, ich war immer rabiat, wenn es brenzlig wurde. Meine Eltern haben mich sehr zum Widerstand erzogen. Vor allem aber war es mein Unabhängigkeitsstreben. Ich wollte selber entscheiden, was gespielt wird. Ehrlicherweise fehlte mir zur erfolgreichen Schauspielerin aber auch der notwendige Exhibitionismus, ich hab’ mich vor dem Publikum so gefürchtet, das glaubt mir ja bis heute niemand.

STANDARD: So wurde aus einem Tapezierermagazin ein Theater, in dem nicht nur der Bundeskanzler im Publikum saß ...

Werner: Damals gingen Regierungsmitglieder noch ins Theater, Franz Vranitzky war da, Erhard Busek Stammgast. Wir waren ein Hotspot – Hans-Joachim Kulenkampff, damals deutscher TV-Star, pries uns sogar im deutschen Feuilleton. Was Rang und Namen hatte, kam in die Drachengasse. Es waren andere Zeiten für kleine Theater. (Margarete Affenzeller, 7.12.2021)