Foto: Katharina Wiedlack

Die Meinungen zum wissenschaftliche Fach Gender-Studies sind oftmals emotional und extrem, besonders die negativen. Rechtskonservative, etwa der ungarische Staatschef Viktor Orbán oder der russische Präsident Wladimir Putin, haben den Gender-Studies den Kampf angesagt. Auch hierzulande sprechen nicht wenige dem Fach seine Berechtigung ab oder halten es gar für gefährlich.

Ein Grund, warum einige, und besonders (mächtige) weiße Männer, die Genderforschung als Feindbild auserkoren haben, ist sicher die Grundausrichtung des Faches selbst: Genderforschung ist eine emanzipatorische Wissenschaft. Sie untersucht mit vielfältigen analytischen Methoden Misogynie, Sexismus, Rassismus, Homo- und Transfeindlichkeit und entwickelt Konzepte, um Gesellschaft gerechter zu machen. Dabei geht sie davon aus, dass Geschlecht ein soziales Konstrukt ist ("gender"), das von biologischen Geschlechtsmerkmalen ("sex") unterschieden werden muss und nicht biologisch determiniert ist. Geschlecht ist also ein Herrschafts- und Machtverhältnis, das in Zusammenhang mit Klasse, Rassifizierung, Alter, Behinderung und Sexualität Ungleichheiten erzeugt, die je nach lokalem und globalem Kontext unterschiedlich sind und eine historische Dimension haben.

Am 18. Dezember ist der internationale Aktions- und Wissenschaftstag #4genderstudies.
Foto: Katharina Wiedlack

Der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit

Die Gender-Studies untersuchen hochkomplexe soziale und kulturelle Zusammenhänge und arbeiten interdisziplinär an der Schnittstelle zu verschiedensten Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften, Biologie, Medizin, Technik- sowie Rechtswissenschaften. Dennoch wird ihnen oft Unwissenschaftlichkeit unterstellt, da sie den Mythos, Wissenschaft sei objektiv, dekonstruieren. Gender-Studies halten sich, wie alle anderen anerkannten Wissenschaften, sehr wohl an strenge Qualitätskriterien, das Kriterium der Überprüfbarkeit und der methodischen Genauigkeit. Sie zeigen jedoch (wie auch die Wissenschaftskritik), dass patriarchale, rassistische, heteronormative Weltvorstellungen die Fragestellungen, Ziele und Ergebnisse von Forschung und Wissen beeinflussen, das heißt, dass Wissensproduktion eben parteiisch und nicht neutral ist.

Dass die Gender-Studies die biologische, juridische, kulturelle und gesellschaftliche Grundlage und damit Legitimation der gängigen patriarchalen, rassistischen, heteronormativen Gesellschaftsordnung dekonstruieren, stört jene, die von dieser Ordnung am meisten profitieren. Doch die Gender-Studies irritieren darüber hinaus, da sie beweisen, dass das binäre Geschlechtersystem, das Gesellschaft in Männer und Frauen einteilt, unvollständig und verkürzend ist. Sie fordern jede und jeden heraus, die eigenen Vorstellungen von Geschlecht und Geschlechterordnung sowie das eigene sexistische und rassistische Weltbild kritisch zu hinterfragen. Dazu gehört auch, Ausschlüsse, die durch sprachliche und andere Handlungen erzeugt werden, zu erkennen und Raum für nichtnormative Lebensweisen und marginalisierte Menschen zu schaffen.

Skulpturen von Sascha Alexandra Zaitseva, Titel: Jetzt schreiten sie alle (2017).
Foto: Lars* Kollros

Die Ablehnung des "Genderns" als Verweigerung gesellschaftlicher Veränderung

Dass dieser antidiskriminierende Aspekt und dieses auch gedankliche "Platzmachen" vielen nicht ins Konzept passen, wird an der großen Aufregung über geschlechtergerechte Sprache evident. Wenn Rechte genderinklusive Sprache in Schulen verbieten wollen, überrascht das wenig, denn die hierarchische Kategorisierung von Menschen bildet das Fundament des weißen Nationalismus. Doch auch viele öffentliche Personen, die sich als liberal oder sogar progressiv inszenieren, wettern gegen die "Verunglimpfung" der Sprache. So sagte etwa der Schauspieler Christoph Maria Herbst kürzlich in einem STANDARD-Interview, dass ihm "Gendern", also eine Sprachverwendung, die auf die binäre Konstruktion der Geschlechter hinweist und suggeriert, dass es mehr als nur Männer und Frauen gibt (etwa durch Sternchen, Doppelpunkt, Unterstrich), "nicht über die Lippen" kommt.

Begründet wird dieser Widerstand gegen das Raum- und Sichtbarkeitgeben für geschlechtliche Minderheiten durch die Liebe zur deutschen Sprache, die durch Inklusion "verschandelt" wird. Doch dahinter steht der Unwille zur Veränderung der eigenen Denk- und Handlungsweise. Kritikerinnen und Kritiker der Gender-Studies lamentieren, dass dort nur unnötig über "Political Correctness" debattiert wird, während die wirklich wichtigen Themen untergehen. In Wirklichkeit ist es doch so, dass sich diese Menschen nur im Bereich des eigenen Sprachgebrauchs mit dem eigenen Sexismus, Transfeindlichkeit und Rassismus auseinandersetzen müssen, aber sogar hier Veränderung verweigern. Denn weiße Eliten sind meist unter sich, und die Gleichstellung von Frauen und sexuellen, geschlechtlichen, sozialen und rassifizierten Minderheiten, der sie theoretisch zustimmen, bedeutet nicht, dass sie ihre Handlungen oder ihren gesellschaftlichen Status verändern müssten.

Gendern abzulehnen hat selten etwas mit der Liebe zur deutschen Sprache zu tun.
Foto: imago images/MiS

Nun sind Unterstrich, Sternchen, Doppelpunkt und Co auch nicht perfekt und führen zu Ausschlüssen. Deshalb forschen die Gender-Studies kontinuierlich an Sprache und Sprachhandeln. Die persönliche Erfahrung zeigt jedoch, dass beispielsweise Hürden für neurodiverse Menschen und Menschen mit Behinderung ausschließlich dann ins Feld geführt werden, wenn es darum geht, zurück zur vertrauten, genderexklusiven Sprache zu gehen und sich nicht weiter mit dem lästigen Thema der Inklusion beschäftigen zu müssen.

Sexuelle, rassifizierte und geschlechtliche Minderheiten müssen sich mit Sprache auseinandersetzen, denn sie werden von Sprachhandlungen diskriminiert und müssen darum kämpfen, mit den für sie stimmigen Begriffen, Namen, Kategorien benannt zu werden. Die Gender-Studies sind ein Ort, wo diese Auseinandersetzungen passieren. Doch die Gender-Studies forschen weit darüber hinaus zu Fragen der sozialen Ungleichheit und entwerfen Konzepte für eine gerechtere Welt. Von Gehaltsschere, Femiziden, Auswirkungen der Pandemie bis hin zu globaler Erwärmung oder globalem Rechtsruck – all diese zeitgenössischen Phänomene haben eine geschlechtliche Dimension.

Unter dem Hashtag 4genderstudies wird am 18. Dezember im deutschsprachigen Raum zum fünften Mal in den sozialen Medien auf aktuelle Forschungen aus den Gender-Studies und deren gesellschaftliche und politische Relevanz aufmerksam gemacht. (Katharina Wiedlack, 8.12.2021)