Foto: www.acv.at/Ludwig Schedl

Kritik an der Impfpflicht wird von vielen Seiten laut: Sie kommt in tausenden Stellungnahmen aus dem Volk, sie kommt aus der FPÖ, und sie kommt – deutlich differenzierter – auch von einzelnen Experten und Expertinnen.

Doch wer hat in den verschiedenen Fachdisziplinen welche Argumente für und gegen die Impfpflicht? Und: Was wären überhaupt denkbare Alternativen?

Omikron als Unbekannte

Zuallererst: Die Verfassung verträgt sich mit einer Impfpflicht – das hat der Europäische Gerichtshof festgestellt, das betonen renommierte Verfassungsexperten und -expertinnen. Stets mit dem Zusatz: wenn sie hilft und das gelindeste Mittel ist.

Hier könnte die Virusvariante Omikron, sollte die Impfung denn nicht ausreichend davor schützen, die Sache zumindest verkomplizieren: Denn dann ist die Impfung freilich kein geeignetes Mittel mehr. Ob dem so ist, dazu gibt es jedoch noch nicht ausreichende Forschungsdaten. Erhärten sich die Hinweise für einen reduzierten Schutz, dann stellt sich für den Grundrechtsexperten Michael Lysander Fremuth aber möglicherweise die Frage, ob die Impfpflicht weiterhin zur Pandemiebekämpfung geeignet ist. "Das heißt, die Frage der Impfpflicht muss fortwährend geprüft und gegebenenfalls auch neu angepasst werden", sagte er kürzlich der APA.

Kathrin Stainer-Hämmerle, Politik- und Rechtswissenschafterin, sieht das aber nicht als generelles Argument gegen die Impfpflicht: "Klar reicht es nicht, am 1. Februar das Gesetz in Kraft treten zu lassen", sagt sie, "es muss laufend adaptiert werden."

Das ist auch im Gesetzesentwurf zur Impfpflicht so vorgesehen: Der Gesundheitsminister kann regeln, welche Impfstoffe in welchen Abständen verimpft werden müssen, damit man als geimpft gilt.

Dazu, dass das – wie viele andere Details der Impfpflicht – per Verordnung geregelt werden kann, sagt Stainer-Hämmerle: "Im Zweifelsfall würde ich da lieber einmal zu oft das Parlament damit beschäftigen." Immerhin erhöhe das auch die Akzeptanz: Mit einer parlamentarischen Debatte könne man auch Kritikern und Kritikerinnen den Wind aus den Segeln nehmen.

Akzeptanz und Trotz

Was zum nächsten Knackpunkt führt: der Akzeptanz bzw. der Reaktanz. Eine Maßnahme ist nur wirksam, wenn sie befolgt wird – das gilt auch für die Impfpflicht. Selbst wenn auf einen Verstoß Geldstrafen stehen – bis zu 600 Euro pro Stichtag sind momentan vorgesehen –, kann jeder und jede sich gegen die Impfung und für die Strafe entscheiden. Oder sich – je nachdem, wie das Gesetz konkret ausgestaltet wird – auf die Suche nach einem Ausnahmeattest machen.

Diese Frage nach der Reaktanz sprach zuletzt etwa Politologin Barbara Prainsack im ORF an. "Manche sagen, wenn ich muss, dann will ich nicht", sagt Prainsack – diese würden von einer Pflicht nicht überzeugt. Sie sei in den Vorgesprächen, die es zwischen Politik und Experten und Expertinnen gab, gegen eine Impfpflicht gewesen – auch wenn diese "einen wichtigen Beitrag leistet".

Thomas Czypionka, Mediziner und Ökonom am Institut für Höhere Studien, beschreibt das Problem im Gespräch mit dem STANDARD so: "Wir sehen bei den Impfzahlen, dass diese Anfang November bei steigenden Infektionszahlen und mit Ankündigung der 2G-Regel nach oben gingen." Bei der Ankündigung der Impfpflicht sei dieser Effekt ausgeblieben – das sei eben die Reaktanz. "Bei 2G sagen die Leute: ‚Vielleicht lass ich mich doch impfen, weil ich dann an den Punschstand gehen kann, aber vorschreiben lassen wir uns das nicht.‘"

In der Debatte rund um die Akzeptanz wirft Politologin Stainer-Hämmerle ein, man dürfe nicht den Blick auf die Größenverhältnisse verlieren: "40.000 sind viel", sagt sie und meint damit die Zahl der Teilnehmenden an den Corona-Demos in Wien am Samstag. Aber deswegen ein Gesetz zu stoppen sei ein "gefährlicher Weg, wenn man genau weiß, dass die Mehrheit dafür ist, sich dann aber von einer kleinen Gruppe erpressen lässt".

Verpflichtende Beratungen

Prainsack und Czypionka schlagen ein anderes System vor: verpflichtende Beratungsgespräche. Nachdem die Impfpflicht politisch bereits quasi beschlossene Sache ist, so sagt Czypionka, müsse man ihr diese zumindest voranstellen. "Also dass man einen Beratungstermin in einem Impfzentrum bekommt – und wenn man ihn nicht wahrnimmt, muss man einen Unkostenbeitrag zahlen." So könne man noch einige Impfwillige gewinnen, sagt er, "indem man ihnen entgegenkommt, ihnen die Möglichkeit gibt, ihre Bedenken zu äußern".

In eine ähnliche Richtung geht auch die Argumentation der Ökonomin Monika Köppl-Turyna: "Es ist wichtig, dass die Pflichtimpfung das letzte Instrument bleibt", sagt sie, zuvor müsse man andere Wege ausprobieren – eben etwa Beratungen, aber auch weitere niederschwellige Impfangebote. Nachdem aber auch dann nicht absehbar sei, dass die Impfzahlen so weit in die Höhe schießen, dass die Pandemie im Griff ist, "glaube ich nicht, dass es eine Alternative zur Pflicht gibt", sagt sie.

Warum nicht lieber Goodies?

Die SPÖ griff zuletzt einen anderen Vorschlag wieder auf: Geld für die Impfung. Zusätzlich zur Impfpflicht, so hieß es von Parteichefin Pamela Rendi-Wagner, solle man allen, die sich den Drittstich holen, einen 500-Euro-Gutschein geben.

Das sieht die Ökonomin Köppl-Turyna kritisch. Damit würden monetäre Motivationen die intrinsische Motivation zur Impfung ersetzen. Vereinfacht formuliert: Man geht dann nicht mehr impfen, weil man es für sinnvoll hält, sondern weil man Geld dafür bekommt. Die Folge könne sein, dass viele Menschen auch bei anderen Impfungen warten, bis es dafür Zahlungen gibt – das gilt freilich in etwaigen nächsten Corona-Wellen.

Derartige negative Nebenwirkungen hätte jede Maßnahme, die Impfpflicht genauso wie denkbare Alternativen, sagt Köppl-Turyna. Und: Negative Anreize würden nun einmal mehr Wirkung zeigen als positive. (Gabriele Scherndl, 13.12.2021)