Am Mittwoch folgte also der zweite Streich: Nachdem das oberste Gericht in Moskau tags zuvor die Menschenrechtsorganisation Memorial verboten hatte, wurde nun auch das dazugehörige Zentrum aufgelöst. Damit ist beim Umgang mit unerwünschten Kritikern endgültig die Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart geschlagen.

Seine Unberechenbarkeit ist Putins gefährlichste Waffe.
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Memorial nämlich wurde in den 1980er-Jahren, also noch zu Sowjetzeiten, gegründet und beschäftigte sich zunächst mit der Dokumentation von Verbrechen der Stalin-Ära. Das Menschenrechtszentrum wiederum setzte sich aktuell für Inhaftierte sowie für ethnische und sexuelle Minderheiten ein.

Beides hat in Russland derzeit wenig Platz. Präsident Wladimir Putin hat die vor 30 Jahren vollzogene Auflösung der Sowjetunion einmal als größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Auch im aktuellen Konflikt mit der Ukraine, der auch ein Konflikt mit "dem Westen" ist, führt er die alte Größe von Moskaus Einflusssphäre ins Treffen.

Selbst das Drangsalieren von Kritikern im Inland hat häufig mit Abschottung nach außen zu tun. So wurde Memorial unter anderem vorgeworfen, gegen Auflagen für NGOs verstoßen zu haben, die als "ausländische Agenten" klassifiziert sind.

Dass man all dies auch als Zeichen von Ängstlichkeit und politischer Schwäche interpretieren kann, macht die Sache nicht besser. Wer sich bedrängt fühlt, wird unberechenbar. Und Unberechenbarkeit ist derzeit Putins gefährlichste Waffe. (Gerald Schubert, 29.12.2021)