Mit Kickl als Chef sind Dämme zum rechten Rand endgültig gebrochen. Das zeigt sich auch bei Corona-Protesten.

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Um den Jahreswechsel soll sich Herbert Kickl innerparteilich ein wenig zurückgezogen haben. "So wie ich ihn kenne, wird er darüber nachdenken, wie er weitermacht", sagt ein langjähriger Wegbegleiter des FPÖ-Chefs. "Die Frage ist, ob sein Auftritt danach noch schärfer wird oder ob er sich zurücknimmt."

Denn selbst unter Freiheitlichen gibt es mittlerweile einige Funktionäre, die hoffen, Kickls harten Corona-Kurs durch Überzeugungsarbeit abschwächen zu können.

Sie haben keine Freude damit, dass mit irreführenden bis tatsachenwidrigen Behauptungen gegen die Impfung agitiert wird, da sich selbst die Blauen überwiegend gegen das Coronavirus schützen. Darüber, dass Kickl stattdessen vehement ein Entwurmungsmittel zur Behandlung ins Spiel bringt, schütteln nicht wenige Funktionäre nur noch den Kopf. Medizinische Empfehlungen solle man Ärzten überlassen, tönt es da. Und nicht zuletzt fragt man sich mitunter im einflussreichen Milieu der Burschenschafter, mit wem sich Kickl und seine Getreuen auf den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen verbrüdern. Bei den Korporierten betont man derzeit fast mantraartig, dass Wissenschaftsfeindlichkeit "nie unseres" gewesen sei. Parteiurgesteine wie Andreas Mölzer warnen vor diesen esoterischen Einflüssen, wenn von "wissenschaftsskeptischem Narrensaum" die Rede ist.

Dass die aktuelle Parteispitze in den Rädelsführern der Corona-Leugner-Szene politische Verbündete sieht, daran lässt sich längst nicht mehr zweifeln. Es war ein denkwürdiger Satz, den Generalsekretär Michael Schnedlitz Mitte Dezember am Heldenplatz bei einer "Querdenker"-Demo enthusiastisch ins Mikro sprach: "Es wächst zusammen, was zusammengehört." Kurz zuvor hatte Martin Rutter, Galionsfigur des Corona-Protests, das Publikum für Kickl aufgewärmt. Es war freilich nicht das erste Mal, dass die FPÖ Proteste gegen Corona-Maßnahmen (mit-)organisierte und sich der Bewegung anbiederte. Insofern ist die Verbrüderung, die Schnedlitz offiziell aussprach, nur die logische Folge der monatelangen Entwicklung.

Schulterschluss

Aber wen umgarnt die FPÖ da? Tendenziell nicht unbedingt die Falschen: 50 Prozent aller, die derzeit FPÖ wählen würden, unterstützen die Aufmärsche. Noch mehr – 82 Prozent – sind es nur bei der neuen Impfgegnerpartei MFG. Das zeigt eine Untersuchung des "Corona Panel Project" der Universität Wien, bei der 1.500 Personen über 14 Jahren befragt wurden. "Der Schulterschluss der FPÖ mit der Protestbewegung ist insofern folgerichtig, als sie von Gefühlslagen geprägt ist, die die FPÖ schon lange aberntet: Autoritarismus, Chauvinismus, diffuser Unmut gegenüber den politischen Institutionen, der politischen Klasse und der real existierenden Demokratie überhaupt", sagt der Rechtsextremismusforscher Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands.

Diese Gefühlslagen werden von den einschlägigen Rädelsführern, denen die FPÖ nicht nur politischen Rückenwind, sondern auch Bühnen gibt, auf die Spitze getrieben – nicht erst seit der Pandemie. Es sind Personen, die mitunter tief in Verschwörungstheorien stecken und denen es um weit mehr als die Impfpflicht geht. Das zeigt sich gut an den radikalen Demo-Aufrufen; für dieses Wochenende ist etwa vom "Sturm auf Wien" die Rede und davon, dass "das System ausgedient hat". Der Verfassungsschutz hält den harten Kern derzeit für die größte Bedrohung. Nicht ohne Grund: Im Szeneumfeld gab es Todesdrohungen gegen die Regierung, Pläne, das Parlament zu stürmen, und Waffenfunde.

MFG als neues BZÖ

Neben Verschwörungsideologen mischen stramme Rechtsextreme an vorderster Front mit, darunter der Neonazi Gottfried Küssel und die Identitären. Dass diese mitunter die Demonstrationen samt Transparent anführen, stört die FPÖ nicht. "Die FPÖ hat jegliche Berührungsängste mit dem rechten Rand diesseits des Neonazismus abgelegt", sagt Weidinger. Diese Entwicklung sei schon vor Kickl angelegt gewesen, mit ihm seien aber alle Dämme gebrochen. Aus Sicht der außerparlamentarischen Rechten sei der Kickl-Kurs begrüßenswert: "In deren Augen muss man den Kampf um Begriffe, Werte und Erzählungen führen, bevor eine Regierungsbeteiligung überhaupt Sinn macht."

Zweifellos ist es so, dass Kickl die FPÖ nach der Ibiza-Affäre mit der harten Corona-Linie in den Umfragen wieder in die Spur geführt hat. Aber er bereitet damit manchem Funktionär auch Unbehagen. "Es ist wie früher, als es das BZÖ noch gab", sagt ein Freiheitlicher. "Wir haben uns damals nicht mit den Großen gematcht, sondern vor allem daran orientiert, dass uns das BZÖ ja keine Stimmen kostet – dasselbe ist jetzt bei der MFG der Fall. So verlieren wir aber jegliches bürgerliche Potenzial und erreichen ohne Not auch Leute nicht, die geimpft sind." Die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie würden zudem eine zu kleine Rolle spielen.

Parteiaustritte

Die Konsequenzen seien für die Partei mittlerweile auch schon spürbar geworden, heißt es. Es sei vermehrt zu Parteiaustritten gekommen. Manche kämen mit der derzeitigen Parteilinie nicht mehr mit. Zwar habe es auch Zulauf gegeben. Aber jene Menschen seien vor allem aus Zorn zur FPÖ gekommen. Wie nachhaltig das sei und wie sich das auf die Ausrichtung der Partei gesamt auswirke, werde sich weisen. "Wenn Corona vorbei ist, wird der Klimawandel wieder ein großes Thema sein: Sagen wir da dann auch, dass es den nicht gibt?", fragt sich ein hochrangiger Funktionär.

Trotz allem wäre es wohl verfehlt, von einem tiefen Riss in der FPÖ zu sprechen. Selbst Kritiker räumen ein, dass von einer Spaltung keine Rede sein könne. Der freiheitliche Kitt ist der Kampf gegen die Impfpflicht. Da sind sich in der FPÖ alle einig. Auch Kickl sitze fest im Sattel. Den Parlamentsklub weiß der blaue Frontmann geschlossen hinter sich. Das zeigte sich im Streit um die Maskenpflicht im Nationalrat, die Kickls Vorgänger Norbert Hofer befürwortete und zum Bruch der beiden führte. Ein Kontrahent für Kickl ist auch nicht in Sicht. Selbst Oberösterreichs Landesvize Manfred Haimbuchner, einer der Mächtigen, der Kickls Kurs teils kritisch sehen soll, lässt ihn gewähren.

Kickl im Sattel

"Die Umfragen sind zu gut, als dass es in der FPÖ einen Grund gäbe, Kickl zu bedrängen", sagt auch die Politikwissenschafterin Kathrin Stainer-Hämmerle. "Mit seiner Corona-Politik hat sich Kickl zwar einzementiert, aber er ist strategisch so geschickt, dass er selbst erkennt, wann sein Kurs den Zenit erreicht hat." Vielleicht schon in ein paar Monaten werde das Pandemiemanagement nur noch rückblickend betrachtet werden, glaubt Stainer-Hämmerle. Da könne Kickl noch Fehler der Regierung auskosten und auf andere Themen umschwenken. Nicht ganz so optimistisch sieht das hingegen Weidinger: "Ich halte es für naheliegend, dass man durch so einen Kurs nicht nur neue Wähler erschließt, sondern auch bisher erreichbare verliert."

Es gibt sie jedenfalls – die leisen Stimmen in der FPÖ, die hoffen, dass Kickl schneller zu einer anderen Linie findet, um auch wieder als politischer Partner infrage zu kommen. Denn längst nicht allen in der FPÖ reicht die Fundamentalopposition. In der jetzigen Verfassung sei der Eintritt in eine Regierung aber unmöglich. Doch diese Stimmen halten sich noch im Hintergrund. (Vanessa Gaigg, Jan Michael Marchart, 7.1.2022)