Unter den vielen politischen Weisheiten, die Winston Churchill zugeschrieben werden, findet sich eine, die Wladimir Putin besonders beherzigt: Man solle niemals eine gute Krise verschwenden. Churchill soll das, auch wenn historische Belege fehlen, in Gesprächen zur Gründung der Vereinten Nationen gesagt haben.

Putin hält es weniger altruistisch. Wo immer es in den vergangenen Jahren brannte, war Russland zur Stelle. In der Ukraine-Krise sprang dabei die Krim heraus, in Syrien Basen in der Region; in Belarus brach die brüderliche Hilfe nicht nur Demonstranten das Genick, sondern auch der Minsker Schaukelpolitik zwischen West und Ost. Friedenstruppen in Bergkarabach mehrten den Einfluss auf Aserbaidschan, vor allem aber auf das neuerdings demokratische Armenien. In Afrika setzt die Söldnertruppe Wagner ihre Stiefel überall hinein – von Mosambik bis Mali –, wo der Westen sich zurückzieht.

Die Friedenstruppen in Gestalt tausender russischer Fallschirmjäger werden das Land verändern.
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Nun also Kasachstan. Nicht dass am Bündnis des Landes mit Moskau bisher Zweifel bestanden hätten. Doch die Friedenstruppen in Gestalt tausender russischer Fallschirmjäger werden das Land verändern. Jahrelang hatte es seine Souveränität betont, Bündnisse auch mit China oder der Türkei geschlossen und viele Wirtschaftsdeals mit dem Westen. Doch nun bleibt Pekings Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit nur noch übrig, im Nachhinein Moskaus Einsatz gutzuheißen. Gleiches gilt für Ankaras Organisation der Turkstaaten. Vom Westen und insbesondere der EU, die sich auf fromme Appelle zur Mäßigung beschränkten, ganz zu schweigen.

Russlands staatliche Medien trommeln, so wie auch bei anderen Einsätzen schon, es handle sich in Kasachstan um vom Westen organisierte Unruhestifter. Belege dafür gibt es nicht. Viel mehr deutet darauf hin, dass die Demonstrierenden sich weder um Russland kümmerten noch um den Westen, sondern um Sprit- und Lebensmittelpreise und die für alle offensichtliche Korruption unter der Elite des Landes, die mit den eigenen ärmlichen Lebensumständen kontrastiert. Und doch ist es, wie schon in Belarus, eine selbsterfüllende Prophezeiung: Nun steht Russland in den Augen der Bevölkerung tatsächlich als jenes Land da, das mit tausenden Soldaten einen Präsidenten stützt, der Schießbefehle erteilt.

Putin kann die Zuspitzung recht sein. Wenden sich die Demonstranten wirklich dem Westen zu, stärkt es das eigene Narrativ. Offen ist, wie lange das gutgeht. Irgendwann wird auch Moskaus militärischer Muskel überdehnt sein. (Manuel Escher, 7.1.2022)