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War vor wenigen Wochen noch Bundeskanzler: Ex-ÖVP-Chef Sebastian Kurz.

Foto: Reuters/ Leonhard Foeger

Wer nach Moshe Kantor sucht, der findet einen Mann, der die Welt zu kennen scheint. Auf einem Foto schüttelt er die Hand von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, auf einem anderen spricht er andächtig mit dessen russischem Pendant Wladimir Putin.

Am Sonntag postete Kantor, ein russischer Milliardär und Präsident des European Jewish Congress, schließlich ein Foto auf Twitter, auf dem er neben Altkanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zu sehen ist, und freute sich überschwänglich, dass sein "Freund" nun neben dem britischen Ex-Premier Tony Blair ehrenamtlich Co-Vorsitzender seines Europäischen Rats für Toleranz und Versöhnung (ECTR) wird.

Um ein zeitintensives Amt für Kurz dürfte es sich allerdings nicht handeln. Die NGO, die sich vor allem gegen Antisemitismus einsetzt, weist kaum Aktivitäten auf – speziell in der jüngeren Vergangenheit. So umtriebig Kantor wirkt, so verstaubt erscheint seine Organisation.

Zurück ins Jahr 2010

Selbst wenn man die Social-Media-Kanäle Twitter und Facebook zusammennimmt, verfügt die 2008 gegründete NGO nur über einige Hundert Follower. Die letzten Einträge stammen jeweils aus dem Jahr 2019.

Auf der Webseite des ECTR sieht es nicht viel besser aus. Die vorerst letzte von insgesamt drei angegebenen Konferenzen fand zwar in Monaco statt, allerdings im März 2018. In jenem Jahr wurde auch zum letzten Mal die Medaille der Toleranz verliehen. Sie erging an den Prinzen von Monaco, Albert II., der laut Angaben der NGO die "historische Versöhnung" vorantreibt.

Darüber hinaus sind die Projekte auf der Webseite überschaubar und veraltet. Darunter befindet sich eine Balkan-Versöhnungsinitiative, im Zuge derer 2010 eine Veranstaltung in Dubrovnik stattfand. Neben Präsidenten der Balkanstaaten nahm daran auch der ehemalige österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel teil. Das jüngste angegebene Projekt, immerhin aus dem Jahr 2019, stammt vom Gründer der NGO selbst. Auf etwa 39 Seiten beschäftigte sich Kantor mit der "Förderung eines fortschrittlichen Denkens über Toleranz und Sicherheit".

Busek "ereilte" nichts mehr

Das Bild der NGO deckt sich mit jenem, das Erhard Busek (ÖVP) davon hat. Der ehemalige Vizekanzler ist eines von zehn normalen ECTR-Mitgliedern. "Seinerzeit" sei er gefragt worden, ob er teilnehmen möchte, sagt er dem STANDARD auf Nachfrage. Von wem, sei ihm nicht mehr erinnerlich. Aber für ihn sei es eine Selbstverständlichkeit gewesen, sich gegen Antisemitismus einzusetzen. "Viel mehr hat mich dann nicht mehr ereilt", sagt der 80-Jährige. "Bis dato sind mir keine Aktivitäten bekannt, was ich bedaure."

Kurz, der künftig auch für Peter Thiel, Unternehmer und Unterstützer des Ex-Präsidenten Donald Trump, arbeiten wird, dürfte jedenfalls ins Schema der NGO passen. Unter den Mitgliedern befinden sich überwiegend konservative Politiker. Selbst der Ex-Vorsitzende der britischen Sozialdemokraten, Tony Blair, ist dort alles andere als ein "bunter Hund". Kurz und Kantor sind auch in einem anderen Punkt auf Linie: Beide warnen vor Antisemitismus unter Flüchtlingen. (Jan Michael Marchart, 11.1.2022)