Nationalen Klimaschutzgesetzen können millionenschwere Klagen internationaler Konzerne folgen. Ein Beispiel ist der deutsche Energiekonzern RWE, der die Niederlande klagte.

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Für Klima- und Umweltschützer ist das Investitionsschutzrecht mit seinen über 3000 weltweiten, meist bilateralen Verträgen ein offenes Tor in den ökologischen Abgrund. Da es ausländische Investoren vor entschädigungsloser Enteignung und anderen Eingriffen durch die Gaststaaten absichert, drohen diesen milliardenschwere Klagen, wenn sie etwa den Klimaschutz oder die Gesundheit der Bevölkerung über das Wohl ausländischer Unternehmen stellen.

So verlangt der deutsche Energiekonzern RWE auf Basis des Investitionsschutzrechts von den Niederlanden eine Entschädigung in Milliardenhöhe. Grund ist der Ausstieg der Niederlande aus der Stromerzeugung mit fossilen Rohstoffen bis 2030. Das betrifft auch zwei Kohlekraftwerke der RWE. Der Konzern hat beim internationalen Schiedsgericht der Weltbank Klage eingereicht, das Verfahren ist anhängig.

Konzern schlägt Staat

"Solche Verfahren kosten Millionen, und sollte ein Staat unterliegen, werden oft spektakuläre Entschädigungssummen zugesprochen", sagt der Jurist Gabriel Lentner, Experte für Investitionsschutzrecht, Schiedsgerichtsbarkeit und Streitbeilegung an der Donau-Universität Krems. "Vor einem Schiedsgericht ist der Ausgang oft schwer abzuschätzen. Aber es ist bekannt, dass große Konzerne hier gegenüber kleineren Staaten faktisch im Vorteil sind", sagt der stellvertretende Leiter des Departments für Rechtswissenschaften und Internationale Beziehungen.

Deshalb bestehe die Gefahr, dass Staaten wegen eines zu hohen Klagsrisikos unter Druck gesetzt werden und weniger ambitionierte Maßnahmen für den Klima- und Umweltschutz ergreifen. "Das Investitionsschutzrecht bietet sehr effektive Durchsetzungsmechanismen", sagt Lentner. Alle anderen Rechte wie etwa der Schutz der Menschenrechte oder der Umwelt seien demgegenüber viel schwerer einzufordern.

Investitionen in ärmeren Ländern

Auch Deutschland kommt der Atomausstieg aufgrund des Investitionsschutzrechts teuer zu stehen. So verklagte der schwedische Energiekonzern Vattenfall Deutschland auf mehr als sechs Milliarden Euro Entschädigung. Letztlich kam es zu einem Vergleich, das Unternehmen bekam immerhin 1,4 Milliarden Euro zugesprochen.

In der Regel profitieren vom Investitionsschutzrecht (internationale) Konzerne, die ihr Geld oft in ärmeren Ländern investieren und dort mitunter beträchtlich mehr als nur ein nachvollziehbares Maß an Sicherheit einfordern. So hat der Tabakkonzern Philip Morris Uruguay und Australien geklagt.

Beide Staaten wollten mittels Kampagnen das Rauchen unattraktiver machen. Australien hat 2011 per Gesetz veranlasst, dass etwa Markenlogos nur eingeschränkt auf Zigarettenpackungen verwendet werden dürfen. Der Konzern hat geklagt: Das Gesetz verletze die Eigentumsrechte an den Markenlogos, was einer Enteignung gleichkäme.

Kein Recht für alle

Alleine die Klage hatte sofort Auswirkungen auf ähnliche Maßnahmen in anderen Ländern. So legte Neuseeland Vorhaben für eine ähnliche Tabakgesetzgebung auf Eis. "Es ging hier um einen neuen Aspekt, den Schutz geistigen Eigentums im Investitionsrecht", sagt Lentner. Zwar entschied ein internationales Schiedsgericht gegen Philip Morris, doch blieben beide Gastländer auf mehreren Millionen Dollar Prozesskosten sitzen.

Der Schutz geistigen Eigentums wird auch in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie diskutiert. Konkret geht es um die Aussetzung der Patente und anderer Schutzrechte auf Impfstoffe, Medizin und Ausrüstung für die Dauer der Pandemie. Durch eine begrenzte Patent-Aussetzung könnten sich auch arme Staaten selbst mit den nötigen Impfstoffen versorgen. Für die betroffenen Betriebe würde das Einbußen bedeuten, und Pharmaunternehmen könnten dagegen mit Investitionsschutzklagen vorgehen.

Dass mit dem Investitionsschutz auch Gefahren verbunden sind, wurde in der EU erst im Zuge der TTIP- und Ceta-Verhandlungen breiter diskutiert. Viele haben das Recht, eigene Gesetze zu machen, in Gefahr gesehen. Wäre es doch möglich, dass ein US-Konzern die EU wegen neuer höherer Umwelt- oder Gesundheitsstandards klagt.

Bedenklich sei die Sonderposition der Konzerne im Investitionsschutzrecht. "Niemand sonst hat Zugang zu diesen sehr wirksamen Rechtsmitteln", sagt Lentner.

Wehrlose Nationen

Der Gaststaat kann im Gegenzug das Unternehmen nicht auf dieser Grundlage klagen. Das einseitige Recht, einen Staat zu klagen, kann international vollstreckt werden und hat indirekt über die Weltbank auch politökonomisches Gewicht. Denn diese kann verurteilten und nicht zahlenden Staaten etwa die Entwicklungshilfe kürzen.

Nicht zuletzt ist zu hinterfragen, wer hinter den mächtigen internationalen Schiedsgerichten steht, die für jeden Fall neu bestellt werden und damit auch keine klare, vorhersehbare Rechtsprechungslinie verfolgen.

"Eine Netzwerkanalyse hat gezeigt, dass es tatsächlich nur wenige, äußerst gut bezahlte Schiedsrichter und beratende Experten sind, die diese Verfahren dominieren", weiß Lentner. "Die Verhandlungen finden mitunter geheim statt, und die Entscheidungen sind aufgrund ihrer Komplexität für Laien kaum nachvollziehbar." Angesichts der weitreichenden Folgen dieser Entscheidungen eine ziemlich schiefe Optik.

Schwammige Forderung

Immerhin können auf deren Basis nationale Gesetze widerrufen oder Umwelt- und Gesundheitsstandards unterminiert werden. Und das alles auf der Grundlage sehr vager Schutzkriterien wie etwa der schwammigen Forderung nach "fairer und gerechter Behandlung" des Unternehmens im Gastland.

"Letztlich ist allen klar, dass man dieses System reformieren muss", sagt Lentner. "Die große Frage ist nur, wie und mit welchen Erfolgsaussichten." Schließlich geht es um ein extrem komplexes Rechtssystem, von dem viele profitieren: von Konzernen über die Schiedsrichter und Berater bis hin zu großen internationalen Anwaltskanzleien, die Unternehmen und Gaststaaten rechtlich vertreten. (Doris Griesser, 7.2.2022)