Wie geht es weiter mit dem Heeresgeschichtlichen Museum im Wiener Arsenal? Eine zeitgemäße militärgeschichtliche Einrichtung müsse sich auch der Habsburgermonarchie widmen, sagt der Historiker William D. Godsey im Gastkommentar. Dafür würde sich der europäische Kontext geradezu anbieten.

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Nach dem Sieg über Napoleon zum großen Feldherrn stilisiert: Erzherzog Karl in der Schlacht von Aspern (1809). (Lesetipp Archäologieblog: Was das Asperner Schlachtfeld über das Leben einfacher Soldaten verrät.)
Foto: Picturedesk / Kurt Molzer

Sowohl in der öffentlichen Diskussion als auch in einer neuen Publikation zur Zukunft des Heeresgeschichtlichen Museums (HGM) ist bisher überraschenderweise die Frühneuzeitforschung kaum vertreten, obwohl das Museum von seinem zeitlichen Rahmen und einem beträchtlichen Teil seiner Sammlungen her auf diese Zeit ausgerichtet ist. Daher besteht die Gefahr, dass die Frage nach einer Neugestaltung des HGM auf die Zeit- und die neuere Nationalgeschichte verkürzt werden könnte.

Kein ernsthafter Zweifel besteht indessen, dass die Schausammlung und die Ausstellungen des HGM einer Neukonzipierung und Kontextualisierung nach zeitgemäßen Fragestellungen und Kriterien bedürfen. Dauerausstellungen zum Teil aus den 1950er-Jahren oder Habsburger- und Feldherrenverehrung ohne entsprechende Kommentierung sind heute nicht mehr vertretbar.

Um diese Problematik soll es aber an dieser Stelle nicht gehen. Vielmehr soll aus der Sicht der lebhaften internationalen Geschichtsforschung zu fiskalisch-militärischen Staaten dafür plädiert werden, dass ein großzügig ausgestattetes und neuaufgestelltes HGM mit einem entscheidenden Schwerpunkt in der Zeit vor 1918 erhalten bleiben möge. Nicht nur wegen der weltweit einzigartigen Sammlungen des Museums, sondern auch wegen der Sache selbst – der großen Bedeutung von Krieg und Militär im Leben vergangener Menschen und Kulturen – muss es als Glücksfall bezeichnet werden, dass ein Militärmuseum, darüber hinaus auch noch in dem großartigen Theophil-Hansen-Bau im Arsenal, die zahlreichen Zeitenwenden in Wien überlebt hat. Wenn die Habsburgermonarchie nämlich nur in den Kunstmuseen dieser Stadt vertreten wäre, käme das einer Verzerrung und ahistorischen Entmilitarisierung der Geschichte gleich.

Teil der Geschichte

In der Erforschung der "fiscal-military states" – der Begriff geht auf den britischen Historiker John Brewer zurück – fristete die Habsburgermonarchie bis vor kurzem vergleichsweise ein Schattendasein, als ob dieses Staatswesen über Jahrhunderte keine führende Militärmacht mit einer gewaltigen Durchsetzungskraft auch nach innen gewesen wäre. Alte Klischees über die Heiratspolitik oder militärische Schwäche der Habsburger werden weiterhin gern bedient ("Tu felix Austria nube"), nicht zuletzt auch in der anglofonen Forschung.

Andererseits werden habsburgische Staatsbildungsprozesse vornehmlich anhand der Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte aufgezeigt, was zwar nicht falsch, aber doch nur ein Teil der Geschichte ist.

"Das Potenzial ist groß und die potenzielle Ausstrahlung nicht nur national, sondern auch europäisch."

Das Heer muss als die größte und bedeutsamste Einzelorganisation gelten, die von der Habsburgermonarchie je aufgestellt und unterhalten wurde. Wem ist beispielsweise bekannt, dass der bedeutende Reformer von Staat und Gesellschaft, Kaiser Joseph II., das größte Militärestablishment seiner Zeit befehligte? Schon anderthalb Jahrhunderte davor, im Dreißigjährigen Krieg, überstieg die Stärke der kaiserlichen Armee zum ersten Mal die 100.000-Mann-Grenze.

Über Jahrhunderte hinweg verschlang das stetig wachsende Heer ungeheure menschliche, materielle und finanzielle Ressourcen von Ländern, die im Ganzen oder zum Teil 15 heutige europäische Staaten umfassen: Österreich, die Tschechische Republik, Ungarn, die Slowakei, Kroatien, Slowenien, Belgien, Luxemburg, Polen, Italien, Rumänien, Deutschland, Serbien, Bosnien-Herzegowina und die Ukraine.

Große Fragen

Das wirft große und interessante Fragen auf, die einen wesentlichen Teil der Vergangenheit aller betreffenden Staaten und Nationen bilden und museal für eine breitere Öffentlichkeit behandelt und aufbereitet werden sollten. Welche Auswirkungen hatte die Mobilisierung dieser Ressourcen auf die Gestalt und Funktionsweise des Staatswesens Habsburgermonarchie? Welche Auswirkungen hatte sie auf die Völker, die die zeitweise erdrückenden Lasten trugen und Rekruten, Steuern, Nahrung und Unterstand zur Verfügung stellten? Welche politischen Reformen und welche Innovationen, wie zum Beispiel die berühmte, aus rund 4000 farbigen Kartenblättern bestehende Josephinische Landesaufnahme der gesamten Monarchie, wurden durch Anregungen des Militärs ausgelöst?

Was wissen wir über die Erfahrungen der einfachen Soldaten, die über die Jahrhunderte in Millionenzahl mit Krieg und Militär in engste Berührung kamen? Wie ging das Militär mit der sprachlichen, territorialen, nationalen und religiösen Vielfalt der Habsburgermonarchie um? Welchen Beitrag leisteten Frauen zum Erhalt des Militärs?

Welche wirtschaftlichen Folgen zeitigten der Krieg, die Kriegsindustrie und die Armeeversorgung? Was haben uns Waffen und Uniformen über Handel und Handwerk zu sagen? Wie schaute das Zusammenwirken von Staat und Privatunternehmern in Bezug auf das Militär aus? Welche populären Widerstände oder Friedensprojekte lösten Krieg und Militärbedarf aus?

Vorbild Schweden

Bisher wird in Zusammenhang mit einer allfälligen Reform des HGM meistens das Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden erwähnt. Zwei Museen in Stockholm – das Armémuseum und das Vasa-Museum – zeigen allerdings auf beeindruckende Art und Weise, wie manche Fragen angegangen werden und wie zeitgemäße militärgeschichtliche Einrichtungen ausschauen können. Das schwedische Beispiel scheint auch deswegen den besseren Vergleich zu bieten, weil sowohl Schweden als auch Österreich militärische Großmächte waren und heute neutrale Kleinstaaten innerhalb der EU sind.

Wegen der europäischen Dimensionen der Habsburgermonarchie und ihres Militärs müsste allerdings einem in Wien beheimateten Museum ein besonderer Stellenwert in der militärgeschichtlichen Museumslandschaft zukommen. Das Potenzial ist groß und die potenzielle Ausstrahlung nicht nur national, sondern auch europäisch und international. Es ist zu hoffen, dass diese Chance nicht verspielt wird. (William D. Godsey, 18.1.2022)