Die Kleidung löchrig, der Mund wässrig: Die beiden Schauspieler Til Schindler (links) und Jesse Inman bestreiten die Uraufführung von "Coma" in der Wiener Porzellangasse.

Foto: Matthias Heschl

Das Schauspielhaus ist derzeit ein Hotel. Die Besucher können sich in winzigen hölzernen Kojen verkriechen und, wenn sie Lust haben, beim hoteleigenen Radiosender mitmachen. Apropos Lust: Wer mag, kann auch einen Blick auf die mit einem riesigen schwarzen Latextuch verkleidete Bühne des Hauses werfen. Hier stehen zwei Wasserbecken und eine Isolationszelle, von der Decke baumeln einige Kristallsteine.

In der Uraufführung von Mazlum Nergiz’ Cruising-Stück Coma markieren sie genauso Versatzstücke des Lustgewinns wie der Lusttristesse (Bühne: Lili Anschütz). Aus dem Sexspiel in der Badewanne wird schnell ein gewalttätiger Kampf um Dominanz. Der Fick in der schalldichten Isolationszelle erzählt genauso viel vom Nähebedürfnis der Protagonisten wie von deren Unbehaustheit. Aber der Reihe nach.

Wasserspiele im Schauspielhaus.

Regisseur Marcel Schwald hat Nergiz' nicht zwingenderweise für das Theater geschriebene Stück auf zwei Personen aufgeteilt. Der Großteil der Geschichte eines nach Mexiko-Stadt zu einem Literatursymposium reisenden jungen Mannes wird von ihnen erzählt, Dialogpassagen gibt es wenige. So etwas wie Figurenidentität wird bereits am Anfang, an dem die zwei Schauspieler Körperübungen absolvieren, in den Hintergrund gerückt. Die Distanz zum Text ist an diesem rund 80-minütigen Abend in etwa genauso groß wie die Distanz des Protagonisten zu seinen Mitmenschen.

Mit dem Freund zu Hause, den er zum Abschied beinahe in der Badewanne ertränkt und dem er in Mexiko-Stadt bald den Laufpass gibt, werden nur wenige Worte getauscht, statt mit seinem Ex-Lektor trifft sich der junge Mann lieber mit anonymen Sexpartnern in dunklen Bars, entlegenen Parks oder in einer versifften Toilette.

Drogenwahn und Gewalt

Erzählt der Schauspieler Til Schindler, der den Hauptpart des Textes übernommen hat, davon, dann hellen sich seine Züge auf und ein leichtes Lächeln umspielt das Bubengesicht – und das, obwohl es bei den diversen Episoden um Drogenwahn, Unterwerfung oder Vergewaltigung geht. Dem Missbrauch durch den eigenen, mittlerweile verstorbenen Bruder in der Jugend folgt die eigene Auflösung in sexueller Gewalt. Körperliche Lust geht in Coma immer mit körperlicher Pein einher, und wenig deutet darauf hin, dass der Protagonist dies auch nur eine Sekunde genießen würde.

Sexuelle Nähe, Lust und Begehren hat man im Schauspielhaus komplett auf eine abstrakte, körperliche Ebene zwischen den zwei Schauspielern ausgelagert. Schindlers Gegenpart ist Jesse Inman, oder in der Schwulensprache gesprochen: Ein Twink trifft auf einen Bären. Sie verkriechen sich ineinander oder bespeien sich gegenseitig mit Wasser. Das choreografische Spiel hat eine eminent sinnliche Ebene, kaum eine sexuelle.

Dem stark gekürzten Text kommt man mit diesem Regiekniff nur bedingt näher. Man abstrahiert und rückt den Text damit noch etwas weiter weg, als dies durch die Erzählform bereits angelegt ist. So harmlos wie dieser Abend ist Nergiz’ Stück nicht. Es hat sich einen zweiten Versuch verdient. (Stephan Hilpold, 31.1.2022)