Unklar ist nach wie vor, ob auch Menschen, die Korruption aufdecken, geschützt werden sollen.

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Die Whistleblower-Richtlinie soll Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Missstände aufdecken, vor rechtlichen Konsequenzen schützen – etwa vor Kündigung, Gehaltskürzung oder Schadenersatz. Solange Österreich kein nationales Gesetz beschließt, haben Hinweisgeber gegenüber ihren Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern aber grundsätzlich keine Ansprüche.

In bestimmten Fällen gibt es jedoch Ausnahmen, erklärt Alexander Petsche, Rechtsanwalt bei Baker McKenzie. Im privaten Bereich entfalte die Richtlinie ohne nationales Gesetz keine Wirkung. Unternehmen können schließlich nichts dafür, dass die Republik säumig ist. "Der Staat selbst ist aber an die Vorgaben gebunden", sagt Petsche. Hinweisgeberinnen, die in einem Ministerium, bei einer Behörde oder bei einer Gemeinde beschäftigt sind, könnten sich vor Gericht daher schon jetzt auf die EU-Richtlinie berufen.

Grundlage für die unmittelbare Anwendung ist die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Voraussetzung ist, dass die EU-Vorgaben nicht rechtzeitig vom Staat umgesetzt wurden und dass sie die Rechte von Personen gegenüber dem Staat detailliert regeln. Beides sei bei der Whistleblower-Richtlinie der Fall. Ausgenommen seien öffentliche Unternehmen wie die ÖBB, sagt Petsche.

Staat haftet für Verzug

Abgesehen davon gibt es noch eine weitere Möglichkeit für Whistleblower, unabhängig vom Arbeitgeber. Setzt der Gesetzgeber eine Richtlinie nicht rechtzeitig um und entsteht einer Person dadurch ein Schaden, kann sie versuchen, vom Staat Ersatz zu bekommen. "Diese Schäden wären vor dem Verfassungsgerichtshof geltend zu machen", erklärt Anna Mertinz, Rechtsanwältin für Arbeitsrecht bei Karasek Wietrzyk.

Dass es nach wie vor kein Gesetz gebe, sei eine "Zumutung", sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer. Sie rät Unternehmen, die noch kein Hinweisgebersystem eingerichtet haben, auf die nationale Umsetzung zu warten. "Sonst entsteht, je nachdem, wie das österreichische Gesetz ausgestaltet ist, möglicherweise ein zusätzlicher Aufwand", sagt Mertinz. Ein Arbeitnehmer, der berechtigt Missstände aufdeckt, sollte aber auch jetzt bereits nicht deswegen gekündigt werden.

Aus Sicht von Petsche müssen Unternehmen nicht warten. Die Richtlinie sei "konkret genug". Bei der Umsetzung treffe der Staat zwar einige wichtige Entscheidungen, allerdings seien Unternehmen jedenfalls dazu verpflichtet, Hinweisgebersysteme einzurichten, die man gegebenenfalls noch anpassen könne. Arbeitgeber sollten schon jetzt mit der Umsetzung beginnen, "weil das nicht von einem Tag auf den anderen geht", sagt Petsche. Unternehmen können die Vorgaben nicht auf Knopfdruck umsetzen, sondern müssen sich länger damit beschäftigen.

Wichtige Fragen immer noch offen

Das Parlament hätte die Richtlinie bis 17. Dezember in nationales Recht gießen müssen, es gibt aber nach wie vor keinen Entwurf. Allein ist Österreich damit nicht. Bisher haben erst sechs Länder nationale Regelungen beschlossen, darunter Dänemark, Litauen, Portugal und Schweden. Dem Vernehmen nach wird sich die Umsetzung hierzulande um weitere Monate verzögern. Die grünen und türkisen Verhandlerinnen und Verhandler sind sich in zentralen Fragen nicht einig.

Vor allem zwei Punkte dürften besonders umstritten sein. Offen ist etwa, ob Unternehmen anonymen Meldungen nachgehen müssen. Die EU-Richtlinie macht hier keine genauen Vorgaben. Unklar bleibt zudem, ob Whistleblowerinnen und Whistleblower, die Verstöße gegen das Korruptionsstrafrecht aufdecken, geschützt sind. Die EU hat im nationalen Strafrecht keine Regelungskompetenz, die Mitgliedsstaaten können deshalb selbst entscheiden, ob sie das Gesetz ausdehnen.

Laut Petsche wäre das unbedingt notwendig. Es gebe "kein rationales Argument" dafür, Menschen, die Korruption aufdecken, nicht zu schützen. (Jakob Pflügl, 7.2.2022)