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Wann geht es mir endlich wieder besser? Oder: Müsste es mir nicht eigentlich schlechter gehen? Sehr oft sind Trauernde von ihren Gefühlen verunsichert.

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"Wie ist es möglich, dass er morgens gescherzt und geredet hat und abends nicht mehr da ist, für immer fort? Es geschah so schnell, zu schnell", schreibt die Autorin Chimamanda Ngozi Adichie in ihrem Essay "Trauer ist das Glück, geliebt zu haben", in dem sie versucht, den plötzlichen Tod ihres Vaters zu verarbeiten.

Ähnlich ging es Samira*, als sie vor sieben Jahren vom Tod ihres Vaters erfuhr. Er litt damals zwar bereits seit fünf Jahren an Lungenkrebs, aber die Krankheit galt als behandelbar. "Wir wollten eigentlich verreisen, und mein Vater hat sich kurz davor das Okay dafür von seinem Arzt geholt. Gerade deshalb hatte ich gar nicht damit gerechnet", sagt die heute 33-Jährige.

Ganz anders erging es Alma*. Als sie vom Tod ihres Vaters erfuhr, hatte sie schon damit gerechnet: "Es ging ihm in den Monaten davor bereits sehr schlecht, aber Tod war mit meinem Vater – einem chronisch psychisch kranken Menschen – immer allgegenwärtig. Schon in der Volksschule hatte er mir gesagt: 'Es kann sein, dass ich nicht nach Hause komme, weil ich mich umbringe.'" Trotzdem war die Nachricht für die damals 27-Jährige überwältigend: "Etwas hat sich in meinem Körper verändert, ich hörte das Blut in meinen Ohren pochen."

Die ersten Bezugspersonen

Was passiert mit jungen Erwachsenen, wenn sie einen Elternteil verlieren? In einem Alter, in dem man nicht mehr Kind ist, aber in der eigenen Lebensplanung noch sehr viel offen ist, kann einen das besonders aus der Bahn werfen.

"Eltern sind in der Regel unsere längsten Beziehungen, unsere ersten und wichtigsten Bezugspersonen. Der Tod eines Elternteils ist deshalb ein besonders schwerer Verlust", erklärt die Psychologin Gudrun Jansohn. Dabei spielen auch der Zeitpunkt und die Art des Sterbens eine Rolle: Ein "erwartbarer" Tod, auf den man sich ein Stück weit vorbereiten konnte, ruft mitunter eine andere Trauerreaktion hervor, als wenn plötzlich etwas passiert und keine Verabschiedung möglich war.

"Wenn jemand lange krank war und man das Leid mitansehen musste, kann der Tod hingegen fast eine Erleichterung sein", bestätigt die Psychotherapeutin Irene Dürkop. Die Verarbeitung des Todes hänge zudem von der Beziehung ab: "Kinder streben nach Anerkennung und Liebe, danach, von ihren Eltern gesehen zu werden. Wenn das in der Kindheit fehlte und jemand wird plötzlich aus dem Leben gerissen, ist das etwas Endgültiges; etwas, das nicht mehr nachgeholt werden kann."

Auch konfliktreiche oder ambivalente Beziehungen können den Trauerverlauf beeinflussen. Ganz grundsätzlich wisse man aber nie, was im Untergrund brodelt und durch eine solche Situation hochkommen könne. Trauer und Verlust treffen laut Psychologin Jansohn zudem immer auf eine bestimmte Lebenssituation: "Das junge Erwachsenenalter hat sich in den letzten Jahrzehnten aufgrund längerer Ausbildungszeiten geändert. Viele Menschen befinden sich zwischen 18 und Mitte 30 noch in einer Art Identitätsfindung – im beruflichen wie im privaten Kontext. Da spielen die Eltern oft noch eine große Rolle."

Diese Einordnung kann auch Samira bestätigen: "Es ist natürlich nie schön, einen Elternteil zu verlieren, aber in dem Alter, dachte ich mir einfach, dass es zu früh sei. Ich war zwar schon erwachsen und habe schon lange nicht mehr zu Hause gewohnt, aber trotzdem befand ich mich noch in einer Art Übergangsphase und fühlte mich schlagartig alleingelassen." Mit einem Lächeln fügt sie hinzu: "Ein Jahr nachdem mein Vater gestorben ist, haben mein Mann und ich uns verlobt. Da dachte ich mir schon, dass mein Papa das noch hätte abwarten können."

Von der Schuld bis zur Wut

Betroffene sind oft verunsichert, ob das, was sie empfinden, normal und wie viel Trauer angemessen ist. Trauer wird sehr verschieden erlebt, heißt es in einem Ratgeber der Bestattung Wien. Der Trauerprozess verläuft zwar in Phasen, jedoch nicht geradlinig, sondern oft wellenförmig. Die Palette der körperlichen und seelischen Reaktionen ist groß und könne von Schock über Schuldgefühle, Wut oder Zorn bis hin zu Gefühllosigkeit, Erleichterung und Verzweiflung reichen.

"Ich habe zuerst einfach nur funktioniert, da viel zu erledigen war", schildert Alma die Zeit nach dem Tod ihres Vaters. "Durch das sehr schmerzhafte Verhältnis zu meinem Papa habe ich viel unterdrückt. Nach seinem Tod ist dann eine Art Ballast abgefallen, und ich konnte neu lernen, Gefühle zu- und rauszulassen."

Diese erste Phase des Verdrängens ist laut Psychologin Jansohn ein kluger Schutzmechanismus unseres Organismus. Der Prozess des Verarbeitens beginnt häufig erst nach der Bestattung: Gefühle zulassen, sich von der verstorbenen Person trennen und das Leben ohne sie gestalten. Im Umgang mit trauernden Menschen sollte man sich gerade zu Beginn aktiv melden, signalisieren, dass man für die Person da ist, und lernen, deren Emotionen auszuhalten: "Das ist nicht einfach, denn Trauergefühle kommen oft mit einer enormen Wucht und sind auch für das Gegenüber schwer zu ertragen", erklärt Jansohn.

Zugleich sei es wichtig, Geduld zu haben und zuzuhören, "auch wenn die gleiche Geschichte schon zum dritten Mal erzählt wird". Oft hört man von einem Trauerjahr, in dem die Hinterbliebenen alle wichtigen Feiertage und Feierlichkeiten ohne die verstorbene Person durchleben. Diese Zeit ist aber häufig zu kurz gegriffen und kann – gerade bei schweren Verlusten – deutlich länger dauern. "Schwierig wird es, wenn das Umfeld dann meint: 'Jetzt ist genug Zeit verstrichen, das Leben muss wieder normal weitergehen.'"

Auch Samira hat den Tod ihres Vaters in der ersten Zeit nicht richtig verarbeiten können. Zu tief waren der Schock und die Sorge darüber, dass auch ihrer Mutter etwas passieren könnte. Erst mit der Zeit konnte sie den Verlust begreifen. Geholfen habe ihr soziales Umfeld. "Ich wollte zwar nicht viel darüber reden, aber ich wusste, dass meine Freundinnen und Freunde für mich da waren." Heute vergeht kein Tag, an dem sie nicht an ihren Vater denkt, und wenn sie etwas an ihn erinnert, dann erzählt sie das auch, denn "so lebt er für mich weiter". (Judith Moser, 10.2.2022)