Kugel Pompel befindet sich in der Nähe der Schnellbahnstation Hernals.

Foto: Heribert Corn/www.corn.at

Die Sitze des Glückes sind rund, sagt ein altes Sprichwort. In Wien hält man sich nur zu gerne daran. Man fährt im Kreis auf Ring und Gürtel, hoch hinaus mit dem Riesenrad und mit der Bim ins Jonasreindl. Dass die Republik Kugelmugel im Prater scheiterte, lag vermutlich auch nur am kantigen Charakter des Gründers – einst hätte man so jemand Unrunden zum Zwangswuchten in den runden Narrenturm vulgo Gugelhupf gesteckt. Man genießt kreisrunde Torte, Krapfen, Semmerl mit Wurstradln, die schönsten Knödel aus allen Bundesländern, die besten Eiskugeln nördlich von Villach. Früher schlich man heimlich ins Rondell-Kino, heute sitzt man in der Burg im Cercle, blickt danach gern tief ins runde Glas und hat traditionellerweise einen rundlichen Bürgermeister, der möglichst wenig aneckt.

Dass es in dieser Stadt der sphärischen Freuden ein eigenes Geschäft ausschließlich für Kugeln gibt, passt wunderschön ins Konzept: Kugel Pompel ist seit über einem Jahrhundert eine Wiener Institution für Spezialisten und die, die es noch werden wollen.

Über 100 Millionen Kugeln werden pro Jahr verkauft, ...
Foto: Heribert Corn/www.corn.at

Herrn Pompels runde Idee

Das Geschäftslokal liegt gleich bei der S-Bahn-Station Hernals – schon im Verkaufsraum, trotz seiner bautechnisch eckigen Anlage, zeigt sich die runde Natur des Etablissements. Glaskugeln in der Auslage, Stahl-, Holz- und Styroporkugeln in den Vitrinen. An der Wand ein Kalender mit Kugelmotiven, Bilder mit runden Objekten, auf dem Schreibtisch im Büro weiter hinten eine kugelförmige Vase, daneben liegen ein Apfel, eine Orange und eine Mandarine. Bananen als Jause widersprechen dem Firmenkonzept, über Himbeeren wird noch intern diskutiert.

Letzteres ist ein Schmäh, natürlich. Denn der rennt hier, auch wenn der tatsächliche Alltag des Traditionsbetriebes in recht ruhigen Bahnen läuft. "Wir zerkugeln uns oft", meint Ingenieur Heinz Hartl, seit 2017 Chef von Kugel Pompel, und lächelt sanft. Der gelernte Wirtschaftsingenieur wollte nach einer Karriere im Anlagenbau "was Bodenständigeres machen, wo man was angreifen kann", und bei Kugel Pompel wurde gerade ein Nachfolger gesucht. Seither dreht sich für Hartl und seine sechs Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen alles um die Kugel, ob aus Metall, Glas, Holz, Keramik, Stein, Gummi oder Plastik. "In jedem Lebensbereich kommt man mit Kugeln in Berührung – ob bewusst oder unbewusst. In so gut wie jedem Bauteil sind irgendwo Kugeln vorhanden", erklärt Hartl. Unter den Kunden von Kugel Pompel finden sich dementsprechend Bastlerinnen, Lehrer und Künstlerinnen – die größte Menge an Kugeln geht aber an Industrie und Technik, das ist seit der Firmengründung 1915 so, als der Wiener Hermann Pompel eine zündende Idee hatte.

Damals war die Eisenbahn eines der wichtigsten Transportmittel und die riesigen Kugellager an den Achsen der Dampflokomotiven ein häufiges Verschleißteil – und ein Austausch im Werk setzte sie oft tagelang außer Gefecht. Was wäre also, so Pompel, wenn man statt des ganzen Kugellagers nur die einzelnen defekten Kugeln ersetzen würde? So wurde jede Lok mit einem transportablen Reparatursatz samt Ersatzkugeln ausgestattet, und Kugel Pompel war im Geschäft.

... macht einen Umsatz von 1,5 Millionen Euro.
Foto: Heribert Corn/www.corn.at

Die Chromstahlkugeln mit circa 20 cm Durchmesser für die Dampflok-Kugellager waren aber nur der Anfang. "Es gibt Kugeln für die verschiedensten Anwendungsbereiche: Präzisionskugeln im automotiven Bereich, in Hydraulikbereichen, Ventilkugeln, natürlich bei Kugelschreibern. Bleikugeln für das Austarieren von Booten oder Modellflugzeugen. Und in jedem Handylautsprecher sind kleine Kugeln drin, auch als Ventilschutz, gegen Wassereintritt", erklärt Hartl und führt uns ins Lager des Geschäfts. Wie oft er den "Kugellager"-Witz schon gehört hat? "Oft", meint er, grinst aber trotzdem. Hier hinten lagern, fein säuberlich nach Material und Größe geordnet und in Schachteln oder Säckchen verpackt, Millionen von Kugeln. "Die kommen aus der ganzen Welt. Das Geschäft gibt es ja seit einem Jahrhundert, da haben wir natürlich Kontakte überallhin. Ein großer Teil stammt aus Asien, viel aus den USA, aber auch in der Schweiz werden hochpräzise Kugeln hergestellt."

Fidget-Spinner

Die kleinsten Kugeln hier sind Zehntel von Millimetern groß, davon passen mehrere Hunderttausend in ein winziges Schächtelchen. Die größte Kugel hier im Lager ist eine Styroporkugel mit etwa eineinhalb Metern Durchmesser – genauer gesagt sind es zwei Halbkugeln, sonst wird das Ganze zu schwer für den Transport, eine Hälfte wiegt alleine an die 25 kg. Die größte Kugel, die er je verkauft hat, war auch aus Styropor – die hatte zweieinhalb Meter Durchmesser und diente als Dekoration für die Seebühne in Bregenz.

"Insgesamt verkaufen wir über 100 Millionen Kugeln im Jahr und machen 1,5 Millionen Euro Umsatz", sagt Hartl. "Letztlich ist das Kugelgeschäft zwar ein Nischenmarkt, aber in Österreich sind wir Monopolist." Bei Kugel Pompel versteht man sich als Kugelvermittler – als Großhändler, aber auch als Berater für Einzelkunden: "Wir suchen so lange, bis wir mit Sicherheit sagen können: Mit dieser Kugel wirst du glücklich!"

So liefert Kugel Pompel nicht nur in großen Mengen an die Firma Evva, die die Kugeln in Sicherheitsschlössern verarbeitet, "damit die Schlüssel schön flutschen", sondern erfüllt auch Sonderwünsche: Manch Kunde kommt schon mal mit einem ganzen Motorblock eines frisch erstandenen Oldtimers ins Geschäft, weil er eine ganz bestimmte Kugel als Ersatzteil sucht. "Und unlängst war ein Künstler da, der hat sich eine Kugelbahn gebaut, als Installation, und genau die richtige Kugel gesucht, die perfekt runterrollt – da haben wir eine Stunde lang gemeinsam Kugeln ausgesucht."

Ob er nie das Bedürfnis hat, in den Kisten voller kleiner Metallkugeln mit bloßen Händen herumzuwühlen, nur weil es sich gut anfühlt, so wie es die Leute in den Youtube-Videos unter dem Stichwort ASMR gerne tun? "Eher nicht", sagt Hartl nüchtern. "Wir greifen ungern mit bloßen Händen hinein, schon wegen der Rostgefahr, da verwenden wir Handschuhe."

"In der Nische sind wir Monopolist", sagt Heinz Hartl.
Foto: Heribert Corn/www.corn.at

Auch Modeerscheinungen bekommt man natürlich mit. "Als die Fidget-Spinner aufgekommen sind, sind die Kunden zu uns gekommen, es wurden Unmengen von Kugellagern verkauft. Irgendwann ist das dann aber auch fad geworden." Genauso wie die duftenden Zirbenholzkugeln. "Die waren eine Zeitlang total beliebt, und dann hat man sie beim Diskonter verramscht."

Eine Kugel für die Nasa

Seit der Corona-Zeit gilt Kugel Pompel als systemrelevant – "wegen der Ventilkugeln für Beatmungsgeräte, die sind aus speziellem Keramikmaterial und zwischen 5 mm und 3 cm groß." Besonders stolz ist Hartl auf einen Auftrag der Nasa: "Die haben vor zwei Jahren bei uns eine Spezialkugel für Messungen bestellt. Eine einzige, ganz kleine Kugel, etwa 3 mm groß war die, aus künstlichem Rubin. Der besteht aus einer ganz speziellen Keramikmischung, für ein Satellitennavigationssystem." Vertrieben werden auch Kugeln aus natürlichem Stein – von klein als Dekoration bis ganz groß aus Marmor, für einen Brunnen in Velden. Aktuell gibt’s einen größeren Auftrag von einer Krampusgruppe für den Perchtenlauf: Hohlkugeln aus Messing mit 150 mm Durchmesser, aus Halbschalen gebaut, mit kleinen Stahlkugeln drin – als Schellen für die Perchten. Und auch die neuen Lampenkugeln für die Beleuchtung der U6-Stationen kommen von Pompel: "Die müssen ganz speziellen Anforderungen entsprechen und wetterfest, UV-beständig, zäh und schlagfest sein."

Hat Hartl eigentlich eine Lieblingskugel? "Die perfekte Kugel ist für mich das Urkilo, die genau ein Kilo schwere Kugel aus Siliziumkristall." Könnte man so eine Kugel mit 93,7 mm Durchmesser auch hier kaufen? "Ja, natürlich, das könnte man. Alles, was sich materialtechnisch verarbeiten lässt, kann man bestellen. In diesem Fall würde das allerdings eine Weile dauern und auch ein paar Hunderttausend Euro kosten."

Stellt sich nur noch die Frage, was es beim Pompel eigentlich nicht gibt. "Schneekugeln, Rumkugeln und Christbaumkugeln!", kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen – auch den Witz macht Hartl nicht zum ersten Mal. (Gini Brenner, 7.2.2022)

Hinweis/Korrektur: Kugel Pompel ist zwar bei der Schnellbahn-Station Hernals beheimatet, liegt aber in Wien-Ottakring, Die Kugel für das Urkilo misst 93,7 mm nicht cm, wie ursprünglich angegeben.