Klaus Florian Vogt (Paul) und Vida Miknevičiūtė (Marietta).

Pöhn

Wien – Es ist dieser spätromantische Wurf des 23-jährigen Wunderknaben Erich Wolfgang Korngold ein Werk der Realitätsverweigerung. Die tote Stadt, am Sonntag an der Staatsoper wieder in den Repertoirealltag gehievt, kreist um den trauernden Gatten Paul. In seinem Salon sitzend, starrt er aufs Gemälde seiner verstorbenen Marie und klammert sich an eine kleine Vitrine, in der das Haar der Toten aufbewahrt wird. Es ist offensichtlich: Pauls Dasein wurde in jenem Augenblick schockgefroren, da Marie von ihm ging. Tenor Klaus Florian Vogt vermittelt diesen Verlustschmerz sensibel mit der ihm gegebenen, so hellen wie melancholischen Lyrik. Selbige reichert er in den Traumszenen um dramatische Nuancen an. Das muss er, denn Hans begegnet Marietta.

Sie befeuert seinen Konflikt in Träumen: Einerseits will er in ihr eine neue Marie erkennen, sie zum lebenden Gespenst der Verflossenen formen. Andererseits spürt er den Wunsch, mit Marietta in horizontalen Kontakt zu geraten, was jedoch für ihn Betrug an der Toten bedeuten würde. Willy Deckers elegant-tiefsinnige Inszenierung aus dem Jahr 2004 bietet der litauischen Sopranistin Vida Miknevičiūtė alle Möglichkeiten, diese dem Leben und dem Erleben zugetane Marietta als Provokation für den todesfixierten Hans zu präsentieren.

Tanz der Lebenslust

Bei ihrem Rollendebüt entfaltet Miknevičiūtė imposante dramatische Kräfte in premierenwürdiger Art und Weise. Zum Finale hin gab es zwar einen fragilen Moment wegbrechender hoher Töne. Als lebenslustige Tänzerin, die quasi mit der toten Marie in den Ring steigt, trägt sie jedoch den Abend. Aus dem guten Ensemble ragt Adrian Eröd (als Frank und Fritz) mit edler Gestaltungskunst heraus. Bei der orchestral grandios illuminierten Trauergeschichte trägt Dirigent Thomas Guggeis als Staatsoperndebütant zunächst opulent auf. Mit Fortdauer des Abends gewinnt sein Zugriff mithilfe des Orchesters an Intensität und Kontur abseits von Lautstärke und Effekt. (Ljubisa Tosic,8.2.2022)