Foto: Tobias Deschner/Ozouga Chimpanzee Project

Nicht nur Menschen greifen bei körperlichen Beschwerden und Krankheiten zu Heilmitteln, Selbstmedikation ist auch im Tierreich verbreitet. Etliche Tierarten wurden schon beim Verzehr bestimmter Pflanzen beobachtet, die entzündungshemmend wirken. Auch Insekten müssen dafür immer wieder herhalten: Von einigen Vögeln ist bekannt, dass sie Ameisen, genauer gesagt deren Säure, zur Milbenabwehr in ihrem Gefieder nutzen. Lemuren wiederum fressen bestimmte Tausendfüßer, die eine chemische Verbindung freisetzen, die gegen Darmparasiten wirksam ist.

Nun hat ein Forschungsteam der Universitäten Osnabrück und Leipzig erstmals Schimpansen dabei beobachtet, wie sie Insekten offenbar zur Wundversorgung nutzen. Wie die Gruppe um Simone Pika (Uni Osnabrück) im Fachblatt "Current Biology" berichtet, "behandelten" sich die Tiere damit aber nicht nur selbst, sondern versorgten damit auch andere Tiere.

Antiseptische Wirkung?

Die Biologinnen und Biologen untersuchten das Verhalten einer Gemeinschaft von rund 45 Schimpansen im Loango-Nationalpark in Gabun. Dabei beobachteten sie immer wieder, wie die Tiere mit Verletzungen umgingen: "Die Schimpansen fingen sich ein fliegendes Insekt aus der Luft oder von Blättern und zerdrückten es mit ihren Lippen", sagt Alessandra Mascaro, die Erstautorin der Studie. "Das flachgedrückte Insekt platzierten sie mit den Fingern oder dem Mund auf der offenen Wunde und bewegten es dort mit den Fingerspitzen hin und her." Dann lösten die Schimpansen das Insekt wieder aus der Wunde und wiederholten den Vorgang, berichtet die Biologin.

Über einen Zeitraum von 15 Monaten dokumentierte das Team 76 Ereignisse mit offenen Wunden, von denen 22 Wunden mit Insekten "behandelt" wurden. Welche Insektenarten die Menschenaffen dafür nutzten, ist den Forschenden zufolge noch nicht geklärt. Sie vermuten, dass es sich um Spezies handelt, die eine entzündungshemmende oder antiseptische Wirkung besitzen.

Prosoziale Menschenaffen

Zur Überraschung des Forschungsteams versorgten die Schimpansen aber nicht nur ihre eigenen Verletzungen, sondern behandelten auch andere Gruppenmitglieder mit zerdrückten Insekten. "Solche prosozialen Verhaltensweisen sind bis jetzt nur sehr selten bei nichtmenschlichen Tieren beobachtet worden", sagt die Kognitionsbiologin Pika.

Für den Primatologen Tobias Deschner, der die Schimpansen-Forschungsstation im Loango-Nationalpark leitet, zeigt das Ergebnis, wie viel es noch über unsere nächsten Verwandten herauszufinden gibt. "Es ist faszinierend, dass uns Schimpansen trotz jahrzehntelanger Forschung immer wieder mit neuen Verhaltensweisen und Fähigkeiten überraschen. Das zeigt auch, dass wir uns viel intensiver für ihren Schutz und den Schutz ihrer Lebensräume einsetzen müssen." (dare, 8.2.2022)