Werden die Akteurinnen politischer Umbruchphasen in den Blick genommen, ändert sich, wie man über eine historische Phase, insbesondere über Revolution, schreibt und denkt.

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Veränderung geht nicht nur von jenen aus, die prominent in der Geschichtsschreibung auftauchen. Das zeigt die Historikerin Veronika Helfert, indem sie in ihrem Buch Frauen, wacht auf! einen frischen Blick auf die Zeit von der Habsburgermonarchie bis zur Ersten Republik wirft. Insbesondere die oft verborgene Beteiligung der Frauen spielte in historisch entscheidenden Vorgängen wie der österreichischen Revolution eine wichtige Rolle – was im Gegensatz steht zu den Bildern, die die meisten Quellen zeichnen: "Es kann nicht sein, dass alles ohne Frauen passiert ist. Natürlich sind sie da", sagt die Historikerin, die an der Central European University und der Uni Wien tätig ist.

In der Geschichtswissenschaft und in der Öffentlichkeit gibt es bestimmte Vorstellungen, wie die Gründung der Ersten Republik und das Ende der Monarchie abliefen. Im Mittelpunkt stehen der Zerfall des Heeres, die Soldaten- und Arbeiterräte. "Diese Eckpunkte sind natürlich richtig", sagt Helfert, "aber dieses Narrativ erzählt aus einer sehr bestimmten Perspektive. Erfahrungen anderer Bevölkerungsgruppen, ihre Tätigkeiten und ihr Anteil am revolutionären Transformationsprozess, werden dabei unsichtbar gemacht."

Revolution im Hintergrund

Dass Menschen sich in den Arbeits- und Lebensbereichen, in denen sie sich befinden, selbst vertreten, fand die Historikerin immer schon faszinierend. Vor allem jene, die das weniger formal oder gar unorganisiert taten, scheinen oft nicht auf. "Dabei haben sich Menschen aus ganz unterschiedlichen Gruppen auf unterschiedlichste Weise organisiert und für eine bessere Zukunft engagiert", sagt Helfert.

Ein Beispiel sind etwa die administrativen Tätigkeiten, die Frauen übernahmen und somit unentbehrliche Arbeit in diesen Bewegungen leisteten. Anna Frey zum Beispiel, deren Mutter Therese Schlesinger zu den ersten weiblichen Parlamentsabgeordneten gehörte, war als Sekretärin für den Reichsarbeiterrat sowie den Soldatenrat tätig und hielt Vorträge. Tätigkeiten dieser Art waren unentbehrlich. Helfert zeigt auch die revolutionären Aktivitäten von Frauen im Ersten Weltkrieg.

Arbeiterinnen wie Berta Pölz druckten etwa während des großen Jännerstreiks 1918 heimlich in der Nacht bei Kerzenlicht Flugblätter mit gestohlener Tinte. Käthe Leichter erzählte von Studentinnen, die aufrührerische Rednerinnen zu Versammlungen einluden oder an Friedensdemonstrationen teilnahmen, die brutal von der Polizei aufgelöst wurden. Demokratie wurde 1918 zu einem Schlagwort, das nicht nur eine Regierungsform, sondern eine neue Gesellschaft meinte.

Klug organisiert

Viele Akteurinnen engagierten sich und wollten Entscheidungen in die eigenen Hände nehmen. Manche von ihnen organisierten sich so zum Beispiel in Ortsschulräten: "Die Idee, dass Eltern bei schulischen Angelegenheiten mitzureden haben, war vor 100 Jahren nicht selbstverständlich", sagt Helfert. Bei ihren Recherchen stieß sie auf Frauen, die in der Kontrolle der Lebensmittelversorgung eingesetzt wurden, die also auch innerhalb des Staates in einem gewissen Rahmen mitgearbeitet haben.

So ändert sich das Bild politischer Teilhabe und wird um wichtige Beiträge erweitert. "Fängt man an, der Spur von Frauen zu folgen, dann findet man oft nicht nur eine, sondern mehrere in ihrem Umfeld. Und auch schon bekannte Quellen lohnt es noch einmal gründlich anzusehen, um die versteckte Seite der Geschichte aufzudecken", sagt Helfert. Auf der Rückseite eines Antrags stieß sie etwa auf die Namen von Hilde Wertheim und Anna Strömer, die als Redakteurinnen bei einer Reichskonferenz der Arbeiterräte teilnahmen. Auch wenn tatsächlich nur wenige Frauen in die höchsten Gremien der Arbeiterräte entsandt wurden, waren sie in unterschiedlichen Bereichen, wie in Wirtschafts-, Bildungs- oder Gesundheitskommissionen und gar in Wehrausschüssen, tätig.

In den Umbruchsjahren nach dem Krieg übernahmen die Arbeiterräte wichtige Funktionen. Im "Parlament der Arbeiterklasse" mitzusprechen, wie der Arbeiterrat auch genannt wurde, war den Zeitgenossinnen ein großes Anliegen. Dadurch konnten sie am Aufbau des neuen Staates teilnehmen und den Problemen und Forderungen von (arbeitenden) Frauen Raum geben.

Briefe und Tagebücher

Um weitere Quellen zu finden, fragte die Historikerin, wer zeitgenössisch noch Interesse an einer Dokumentation der Vorgänge hatte, wo aufgezeichnet, beobachtet und protokolliert wurde. Oft passierte das auf der Seite der Gegenspieler der sozialen Bewegungen. Fündig wurde sie etwa in Polizeiarchiven, fand Protokolle und Berichte. Daneben durchforstete Helfert Nachlässe wie Tagebücher, Briefe oder autobiografische Dokumente. "Egodokumente sind die spannendsten und eindrucksvollsten Quellen, auch wenn sie nicht immer das erzählen, was man sich erhofft", erzählt die Historikerin.

Sechs Jahre forschte sie im Rahmen ihrer Dissertation, die sie schließlich in Buchform goss, um sie einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Aus demokratiehistorischer Perspektive könne man aus der Gründungsphase der Ersten Republik zudem viel lernen. "Viele Leute hatten große Lust darauf, mitzubestimmen und ihre Gesellschaft selbst zu gestalten, und das ist eben nicht nur innerhalb der parlamentarischen Demokratie passiert." (Pia Gärtner, 15.2.2022)