Fragen nach Motiv und Abbild beschäftigen den Helden in Doron Rabinovicis neuem Roman: Der Fotojournalist will ein Bild einfangen, das einen rechtspopulistischen Politiker entlarvt.

Foto: APA / Tobias Steinmaurer

Elias Hirschl hat sich in Salon fähig letztes Jahr an Sebastian Kurz und dessen stromlinienförmigen Jüngern abgearbeitet. Wenn Doron Rabinovici jetzt seinen Roman Die Einstellung über einen populistischen Politiker vorlegt, ist man etwa eine Seite lang im Glauben, er hätte die Zukunft vorausgesehen. Statt eines jungen, "glatten Schönlings" und "Blässlings" ist seine Hauptfigur ein "stattlicher Mann", "ein ganzer Kerl mit gesundem Teint, als käme er gerade von einer Bergtour oder aus dem Sonnenstudio". Skiurlaube von Kanzler Karl Nehammer fallen einem ein. "Ein Kumpeltyp mit kantigem Gesicht und einem breiten Lächeln."

Man irrt aber: Rabinovici hat nicht den jüngsten Wechsel an der ÖVP-Spitze vorhergesehen, sondern er kreist um einen populistischen Politiker ganz am rechten Rand. Je niederträchtiger und abwegiger dessen Parolen, umso mehr Volk schart sich um ihn. Nicht ins Bild des Demagogen will nur sein Name passen: Ulli Popp. Etwas ungelenk lässt er sich auf Wahlkampftour denn auch von Sprechchören skandieren.

Fotos, die enthüllen

Popp gegenüber stehen als Helden der Fotograf August Becker und die Journalistin Selma Kaltak. Er ist ein Fotojournalist der alten Schule, der mit der Praxis heutiger Medien hadert, Bildmaterial direkt aus den PR-Stuben der Parteien abzudrucken, weil sie ihnen kostenlos zur Verfügung gestellt werden. August sucht nach Fotos, die "demaskieren", damit ist er zur Legende geworden. Selbst beim Magazin Forum, für das er fotografiert, dem "Flaggschiff der liberalen Qualitätsmedien im Land", halten PR-Bilder aber Einzug.

Augusts stärkste Verbündete ist Selma. "Ohne sein Bild keine Geschichte, nicht ein Satz", stellt sie immer wieder vor der Redaktion klar. Rechte verwechseln den Nachnamen der kritischen Autorin und hartnäckigen Rechercheurin mit Migrationshintergrund zuweilen spöttisch mit "Kakerlak". Jedenfalls kommt es, dass August und Selma Popp auf dessen Wahlkampftour durchs Land folgen. August will ein Foto schießen, das Popp zeigt, wie er wirklich ist – auf diesen rechten Moment spielt der Romantitel an.

"Eliten" bis "Lügenpresse"

Doch wie ist er? Popp spricht von "Eliten", "Lügenpresse" und "Bevölkerungsaustausch". Für die einen schwingt er damit "Hetzreden", für andere sammelt er "besorgte Bürger" hinter sich, "hat der Mann ein Ohr für jene, die fürchten, immer weiter abzusinken", und wirft "die richtigen Fragen auf, nur habe er die falschen Antworten". Es kommt einem diese Palette bekannt vor.

Wie heimischen Lesern vieles an Die Einstellung nicht ganz neu ist. Dieses Buch wird in Deutschland und der Schweiz vermutlich recht anders als in Österreich gelesen werden. Dort mag man schockiert sein, hierzulande erkennt man bloß die hiesigen Verhältnisse wieder.

Doch beansprucht die Fiktion ihren Raum. Eigentlich ist Popp nämlich anders: ein Kenner moderner Kunst und edler Weine, ein fürsorgender Ex-Mann. Bei einem Abend in der Dorfbar menschelt es und geht die journalistische Distanz flöten. Er hat nicht nur zwei Gesichter, sondern auch zwei Büros: ein klischeesattes für provokante Pressetermine, und ein dezentes echtes.

Wahrheitssuche durch die Kamera

Wo Hirschl das Mindset der ehemals neuen ÖVP zu erforschen suchte, führt Rabinovici sich im allerkleinsten Kreis drehend vor Augen, welcher Gestalt die Strategien und Mechanismen der FPÖ sind. Darein verwebt Rabinovici eine Vater-Sohn-Geschichte, deren Kern ausmacht, dass in Augusts Familie die Söhne die Väter seit Generationen mit ihrer Berufswahl enttäuschen. August muss sich damit abfinden, dass sein schwuler Sohn Tim Wirtschaft studieren will, zudem an einer Eliteuni, die sich in harter Währung für August kaum bezahlen lässt. Schwer wiegt auch der Konflikt, dass Tim Augusts Wahrheitssuche durch die Kamera nicht vertraut. Stichwort eins: Es ist höchste Zeit zu handeln statt nur zu zeigen. Stichwort zwei: Jede Berichterstattung ist auch Werbung.

August wird das auf die harte Tour lernen. Nicht nur, wenn er sich in sozialen Netzen in Debatten über seine Fotos verwickeln lässt – die rasend schnell entgleisen. Er wird mit Leni Riefenstahl verglichen, während Popp sich mit einem PR-Stunt der Regierungsbeteiligung nähert.

Liebe ohne Grenzen

Was deprimiert nicht an dieser zwischen Message-Control, politisch zweckdienlichen Flunkereien und Stimmungsmanipulation im Internet süffig und flott erzählten Bestandsaufnahme? Etwa kundige Passagen zum Handwerk des Fotografierens. Man gönnt dem geschiedenen Helden auch die Liebesgeschichte mit der Kolumnistin des größten Boulevardblatts. Angesichts dieser Wirklichkeit ist jede Erfindung herzlich willkommen! (Michael Wurmitzer, 14.2.2022)