Im Dezember lieferte Kamila Walijewa einen positiven Dopingtest ab. Dennoch durfte sie zu Russlands Sieg im olympischen Teambewerb beitragen. Nun urteilen die Gerichte.

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Am 28. August 1977 legte Christiane Knacke als erste Schwimmerin die 100 m Delfin innert einer Minute zurück: 59,78.

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Illusionen gibt sich Christiane Sommer längst nicht mehr hin. An sauberen Sport zu glauben fällt ihr schwer. Viele Disziplinen bilden für sie nur noch "einen Wettlauf der Pharmakonzerne" ab. Sommer war unter ihrem Mädchennamen Knacke eines der Wunderkinder des DDR-Sports, am 28. August 1977 schwamm sie beim Länderkampf gegen die USA im Berliner Friesenstadion die 100 Meter Delfin in 59,78 Sekunden. Damit war sie als erste Frau unter einer Minute geblieben, wobei, Frau ist relativ, Knacke war 15 Jahre alt.

Fall Walijewa

15 Jahre, so alt ist die russische Eiskunstläuferin Kamila Walijewa, deren Fall aktuell bei den Winterspielen in Peking für Schlagzeilen sorgt. Walijewa gewann im Teambewerb mit Russland Gold, erst kurz darauf wurde bekannt, dass sie bei den russischen Meisterschaften im Dezember positiv auf die verbotene Substanz Trimetazidin getestet worden war.

Am Montag wird der Sportgerichtshof CAS gegen 7 Uhr (MEZ) Früh entscheiden, ob die russische Anti-Doping-Agentur die erst am 8. Februar verhängte Sperre der Europameisterin einen Tag später wieder aufheben durfte. Da geht es vor allem darum, ob Walijewa ab Dienstag im Einzelbewerb antreten darf. Über weitere Konsequenzen wie die mögliche Aberkennung des Teamtitels wird wohl erst später entschieden.

Staat und Steuerung

Die heutige Sportmacht Russland mit der Ex-Sportmacht DDR zu vergleichen liegt nahe. Staatlich gesteuertes Doping ist da wie dort erwiesen. Im STANDARD-Sportmonolog hielt Sommer fest: "Über den Sport konnte die DDR nicht nur dem Ausland etwas beweisen, sondern auch im eigenen Land mobilisieren und die Leute bei der Stange halten. Deshalb haben sie das Dopingsystem so groß aufgezogen und schon bei Kindern und Jugendlichen damit angefangen."

Für Russland, meinen Kundige, hat aktuell Ähnliches zu gelten. Das Land ist wegen staatlich organisierten Dopings und Vertuschung von Sportbetrug wie schon bei den Sommerspielen in Tokio gesperrt. Russische Athletinnen und Athleten treten unter ROC (russisches olympisches Comité) an, bekommen im Erfolgsfall weder die Hymne gespielt noch die Flagge gehisst.

Christiane Sommer, die Arbeitsrechtlerin ist, lebt seit 1988 in Wien.
Foto: Matthias Cremer

Den Fall Walijewa kann und will Christiane Sommer rechtlich nicht beurteilen. Was sie sehr wohl loswerden kann und will, ist: "Kinder und Jugendliche zu schützen ist die wichtigste Aufgabe, natürlich auch im Sport. Kinder sind Schutzbefohlene."

Dass eine 15-Jährige nicht mitbekommt oder gar nicht mitbekommen will, was ihr verabreicht wird, sei nachvollziehbar, ebenso eine gewisse Ahnungs- bis Sorglosigkeit der Eltern. "Die geben das Kind in eine Sportschule und hoffen, dass es durch den Sport ein besseres Leben bekommt." Der Preis ist oft hoch. Sommer kann angesichts körperlicher Folgeschäden ein Lied davon singen. Andere DDR-Dopingopfer sind allzu früh verstorben.

Tabletten und Spritzen

Als Zehnjährige bekam Sommer erstmals Tabletten verabreicht. "Mit Oral-Turinabol wurde ab Frühling 1977 nachgeholfen. Sie haben auf meine erste Periode gewartet. Da habe ich auch Spritzen bekommen. Nichts Schlimmes, sagten die Trainer, das kriegt ihr, damit das Training leichter fällt."

Als Jugendgewerkschaften 1986 zwecks Völkerverständigung nach Moskau kamen, verständigte sich Christiane aus Berlin mit Gottfried aus Wien. 1988 wurde geheiratet, seither heißt sie Sommer und lebt in Wien. Gottfried fragte, warum sie ihr Hirn nicht früher einschaltete. "Sag 14-Jährigen, sie sollen das Hirn einschalten. Friss oder stirb war die Devise. Wir waren Missbrauchsopfer, hatten keine Wahl."

Konsequenzen

Es dauerte, bis die Täter zur Rechenschaft gezogen wurden. Ende der 90er wurden in den DDR-Dopingprozessen zahlreiche Betreuer, Funktionäre und Ärzte verurteilt. Einige von ihnen waren schon und blieben in Österreich tätig. Der vom Skiverband entlassene Sportmediziner Bernd Pansold übernahm 2003 die Leitung des Diagnostik- und Trainingszentrums von Red Bull.

Im Fall Walijewa forderte zuletzt die legendäre DDR-Eiskunstläuferin Katarina Witt lebenslange Sperren "für die verantwortlichen Erwachsenen". Christiane Sommer stimmt zu und regt an, Großevents künftig vielleicht nur für Volljährige zu veranstalten. "Denn sauber wird der Sport eh nicht mehr, und so sind wenigstens die Kinder geschützt." (Fritz Neumann, 13.2.2022)

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