Bild nicht mehr verfügbar.

Unternehmen müssen ein faires, transparentes und nachvollziehbares Gehaltssystem haben, sagt von Platen.

Foto: Getty Images

Wenn es um den Gender-Pay-Gap geht, sind optimistische Stimmen selten. Doch eine ist die Fair-Pay-Expertin Henrike von Platen. Sie ist überzeugt, dass Prognosen über eine noch lange bestehende Lohnschere falsch sind.

In Österreich wird auf die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern gleich zweimal im Rahmen von Equal-Pay-Days aufmerksam gemacht. Im Herbst wird die Differenz zwischen den Bruttostundenlöhnen von Männern und Frauen fokussiert, die bei 18,5 Prozent liegt. Und zu Jahresbeginn werden die Einkommen aller Vollzeitbeschäftigten verglichen, was einen Gender-Pay-Gap von 12,7 Prozent aufzeigt. Somit ist der 15. Februar jener Tag, bis zu dem Frauen symbolisch gesprochen gratis arbeiten. Was Österreich und Deutschland gemeinsam haben, ist, dass sie im EU-Vergleich ähnlich schlecht abschneiden. Die deutsche Equal-Pay-Expertin Henrike von Platen erklärt, warum Frauen sich nicht mit ihrem Verhandlungsgeschick aufhalten sollten.

STANDARD: Die Lohnschere bewegt sich zwar, aber langsam. Warum geht der Fortschritt so zäh vonstatten?

Von Platen: Wir sind in Deutschland bei 18 Prozent angekommen, vor einem Dutzend Jahren waren es noch 23 Prozent. Das ist tatsächlich langsam, aber es gibt inzwischen Veränderungen. Der Schluss, dass es so langsam weitergeht, weil es bisher langsam ging, stimmt nicht. Diverse Hochrechnungen gehen davon aus, dass wir so weitermachen wie bisher. Aber es gibt Veränderung, auch wenn diese jetzt noch nicht in vollem Umfang greifen: festgelegte Mindestlöhne, Frauen in Führungspositionen, Entgelttransparenzgesetze. Daher wird der Gender-Pay-Gap rapid abnehmen, wenn die kombinierten Effekte dieser Veränderungen vollständig eintreten.

STANDARD: Was macht Sie so optimistisch, dass die Effekte so groß sind?

Von Platen: Die Betriebe bewegen sich inzwischen sehr. Weltweit ist der Druck zu diesem Thema gestiegen, überall gibt es schärfere Gesetze, auch die EU hat einen Vorschlag für eine Richtlinie zu Equal Pay vorgelegt. Wir sehen auch, dass Unternehmen freiwillig mehr tun, als sie müssten. Sie fangen an, über Gesetze hinaus zu agieren.

STANDARD: Sind derzeit die Unternehmen fortschrittlicher beim Gender-Pay-Gap als die Politik?

Von Platen: Ja, das kann man durchaus so sagen. Viele Jahre wurde Druck aufgebaut, auch die Beschäftigten fragen immer mehr nach. Globale Unternehmen haben in den verschiedensten Ländern unterschiedlichen gesetzlichen und gesellschaftlichen Druck. UK ist einer meiner Lieblinge, dort müssen Unternehmen ab 250 Beschäftigten schon seit vier Jahren ihre Gender-Pay-Gaps veröffentlichen. Wenn ich einen Standort in UK habe, muss ich den Pay-Gap schon veröffentlichen, dann kommt Deutschland und will noch irgendwas zusätzlich. Also müsste ein Unternehmen in den einen Ländern dieses und jenes vorlegen, in anderen Ländern nichts. Große Firmen sagen sich daher vermehrt, wir brauchen eine globale Lösung, und fangen an, über die Gesetze hinauszugehen. Auch kleinere Unternehmen bewegen sich rasant. Man erkennt Fair Pay als Wettbewerbsvorteil.

STANDARD: Die Debatten oft rasch um die Größe des Pay-Gaps und darum, was rausgerechnet werden muss, wie etwa die Branche. Wie sehen Sie das?

Von Platen: Der bereinigte Pay-Gap ist der, der den unerklärbaren Rest zeigt. Unerklärbar insofern, dass keine statistischen Ursachen für diesen Rest gefunden werden. Eine der Ursachen kann Diskriminierung sein. Eine weitere fehlende Transparenz in Vergütungssystemen. Beim unbereinigten Gap von 18 heißt es oft, der wäre Quatsch, ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen. Doch der unbereinigte Gender-Pay-Gap spiegelt die gesamtgesellschaftliche Gehaltsverteilung wider, und letzten Endes hängt da viel dran, etwa ein Indiz zu Einkommen oder Renten. Deshalb muss man immer auf diesen unbereinigten Gap schauen.

STANDARD: Was bringt das, wenn die Lohnlücke quasi wegerklärt wird?

Von Platen: Wir müssen den großen Gap anschauen, damit wir überhaupt anfangen können, über die Ursachen zu reden. Dann kommt die große Frage auf: Welcher Faktor darf eine Gehaltslücke rechtfertigen, welcher nicht? Es gibt auch Ursachen und Erklärungen der Lohnlücke, die nicht in Ordnung sind oder diskriminierend wirken. An der Stelle wird es spannend. In vielen großen Statistiken werden Branchen rausgerechnet, aber die Branche ist doch so etwas, bei dem wir nachfragen müssen, warum in manchen Branchen so schlecht gezahlt wird? Wir brauchen diese Diskussion um erklärbare Faktoren.

Henrike von Platen: "Der unbereinigte Gender-Pay-Gap spiegelt die gesamte Verteilung der Einkommen wider."
Foto: OLIVER BETKE

Auf Unternehmensebene wird es da spannend. Wir können nicht festlegen, dass es etwa sieben Faktoren gibt, die den Gender-Pay-Gap erklären dürfen, denn diese Faktoren können unterschiedlich sein. Es gibt Unternehmen, die berücksichtigen, wie lange jemand im Betrieb ist, andere tun das nicht. Doch beide Unternehmen können in ihrem System und ihrer Kultur fair bezahlen und auf einen Gender-Pay-Gap von null kommen. Das ist mir deshalb immer so wichtig, weil Fair Pay nicht heißt, dass wir alle Unternehmen gleichschalten müssen – dieses Missverständnis gibt es oft. Wir müssen Unterscheide zulassen, unterschiedliche Betriebskulturen. Trotzdem müssen diese Unterschiede auch ein faires und schlüssiges Gehaltssystem beinhalten.

STANDARD: Was soll die Politik tun?

Von Platen: Wir haben uns viele Gesetze weltweit angesehen und verglichen. Es gibt Island mit dem Equal-Pay-Standard (einem Gesetz für gleiche Bezahlung von Frauen und Männern, Anm.), es gibt UK mit der Gehaltstransparenz – es gibt Dinge, die wirken. Am besten wirkt, dass die Entgeltanalyse für Unternehmen verpflichtend wird – und daran angeschlossen natürlich der Auftrag zur Schließung des Pay-Gaps. Wir wissen, dass das wirkt.

STANDARD: Und was können die einzelnen Beschäftigten tun?

Von Platen: Von ihnen würde ich mir wünschen, dass sie sich mit dem Thema auseinandersetzen und mehr über Geld reden. Wenn ich mich über Geld unterhalte, dann kann man vieles finden, was man sich so gar nicht vorstellen wollte. Das bringt vieles ins Rollen.

STANDARD: Was ist mit nachdrücklicheren Gehaltsverhandlungen?

Von Platen: Frauen in Gehaltsverhandlungsworkshops zu stecken ist nicht zielführend. Das ist nicht die Aufgabe der einzelnen Personen, ein Unternehmen muss wissen, wie viel es den Beschäftigen bezahlen kann und will, um auch fair zu bezahlen, und es sollte Transparenz und Verständnis über das Gehaltssystem herstellen. Es ist nicht meine Aufgabe als Angestellte, auf so etwas zu schauen oder um Geld schachern zu müssen. Ich habe einen Umschulungsvorschlag für Verhandlungscoaches. Sie sollten umsatteln auf vorurteilsfreies Einstellen und Befördern für Personalverantwortliche. Vorurteile, wenn auch oft unbewusste, sollen nicht durch das Verhandlungsgeschick Einzelner ausgeglichen werden müssen.

STANDARD: Mit dem Gender-Pay-Gap werden Unterschiede in den Bruttostundenlöhnen verglichen. Das bildet aber nicht ab, dass Frauen während Corona vermehrt Care-Arbeit geleistet und womöglich Stunden reduziert haben. Ist Corona also ein Rückschritt für Equal Pay?

Von Platen: Es wird sich noch zeigen, wie Corona den Gender-Pay-Gap verändert hat. Es haben auch Menschen ihre Jobs verloren oder keine Gehaltssteigerungen erhalten, die sonst geflossen wären. Erste Einschätzungen für Deutschland zeigen ein ambivalentes Bild, und es besteht auch die Möglichkeit, dass der Gender-Pay-Gap durch Corona sinkt, da die Lohnschere insgesamt kleiner geworden ist. Aber wie genau dieser Effekt aussieht, werden wir erst in einiger Zeit genau beziffern können.

Was den Gender-Care-Gap betrifft, so ist dieser aufgegangen. Aber nur zu sagen, dass Frauen zurückstecken, ist zur kurz gedacht. Daten zeigen, dass die Paare, die sich Erwerbs- und Sorgearbeit gemeinschaftlich aufteilen, das auch in der Pandemie gemacht haben. Bei Paaren, bei denen mehrheitlich die Frau die Sorgearbeit übernommen hat, war das auch zu Pandemiezeiten so – nur dass Betreuungsinfrastrukturen, die dieses System unterstützt haben, jetzt weggefallen sind. Also ja, die Pandemie hat den Gender-Care-Gap massiv vergrößert, aber Corona hat uns vor allem vor Augen geführt, dass der Stand der Gleichstellung weit hinter dem zurückliegt, was viele als bereits erreicht geglaubt haben. (Beate Hausbichler, 15.2.2022)