Zsolnay-Chef Ohrlinger: "Die Bücherpreise werden steigen. Wir ringen um jeden Euro, den ein Buch teurer werden kann."

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Seit Jahren wird der Niedergang des gedruckten Buchs prophezeit. Derzeit aber ist davon wenig zu merken. Die Pandemie hat den Umsätzen neuen Auftrieb verliehen, die Wehklagen über Millionen verschwundener Leser sind verstummt. Die Probleme der Buchbranche liegen allerdings auf der Hand, wie auch Herbert Ohrlinger weiß. Ein StandART-Gespräch mit dem langjährigen Chef des Wiener Zsolnay-Verlags. Hier finden Sie die Videoversion.


STANDARD: Wie ist es dem Geschäft mit Büchern in den vergangenen zwei Jahren ergangen?

Ohrlinger: Sehr gut! Die Zäsur Mitte März 2020 hat zu einem regelrechten Aufbruch geführt. Zuerst stand zwar alles still, aber durch Online-Bestellmodelle oder durch Click & Collect konnte vieles aufgefangen werden.

STANDARD: Die Zahlen sprechen eine andere Sprache. 2020 ging der Gesamtumsatz um beinahe vier Prozent zurück, im vergangenen Jahr konnte der Vorpandemie-Umsatz dann leicht übertroffen werden.

Ohrlinger: Der Einbruch 2020 betraf einzelne Sparten, etwa die Reisesparte. Das schlägt natürlich zu Buche. 2020 war ein komplett atypisches Jahr, das berüchtigte Sommerloch trat nicht ein. Viele Menschen fuhren nicht weg, das Buch war ein wichtiger Sommerbegleiter. Bei Zsolnay war 2020 sogar ein besseres Jahr als manches in den Nullerjahren, als Henning Mankell sich rasend gut verkaufte.

STANDARD: Bei Belletristik kam es zwar nicht in Ihrem Verlag, in anderen aber sehr wohl zu Umsatzrückgängen. Womit hat das zu tun?

Ohrlinger: Ich kann das nicht recht nachvollziehen. In der Vorpandemiezeit übertraf sich die Branche mit Kassandrarufen, dass die Buchkultur zu Ende gehe. Millionen Leser, sagte eine Studie, würden wegfallen. Seit der Pandemie gehören diese Rufe der Vergangenheit an. Negativ auf die Leserzahlen hat sich ausgewirkt, dass die Produktionskosten massiv gestiegen sind und Bücher Mitte der Zehnerjahre teurer wurden. Bücher waren lange zu billig, vor allem die Preise für Hardcover wurden nicht der Inflation angepasst.

STANDARD: Papier und Energie haben sich zuletzt noch einmal verteuert. Zudem stieg die Umsatzsteuer wieder auf zehn Prozent. Werden die Bücherpreise erneut steigen?

Ohrlinger: Ja, werden sie. Wir ringen bei Vertretersitzungen um jeden einzelnen Euro, den ein Buch teurer werden kann. Wobei in Österreich die Preissensibilität bei weitem nicht so stark ausgeprägt ist wie in Deutschland. Der Buchmarkt ist hierzulande stabiler als jener in Deutschland. Wenn man heute für einen Museumsbesuch 20 Euro bezahlt, ist es nicht zu viel verlangt, dass auch ein Buch so viel kostet.

STANDARD: Die Umsätze werden in der Buchbranche in erster Linie deshalb gehalten, weil die Bücher teurer werden. Gleichzeitig erscheinen immer mehr Bücher. Gerät die Branche so nicht immer stärker unter Druck?

Ohrlinger: Das stimmt nicht ganz. In der Hochzeit in den Nullerjahren gab es etwa jährlich 90.000 Neuerscheinungen auf dem deutschsprachigen Markt, dem weltweit zweitstärksten nach dem angloamerikanischen. Darin sind Lizenzausgaben, Hörbücher und E-Books enthalten. Das hat sich schon geändert, wir halten heute bei etwa 70.000 Neuerscheinungen. Das ist zum Teil zurückzuführen auf relativ wenige Verlage, die verschwunden sind, ein Umstand, der mich selbst immer wieder verwundert. Der eigentliche Grund aber ist der Rückgang beim Taschenbuch durch den Verkauf von E-Books. Letzteres ist etwa 25 bis 30 Prozent billiger als das Hardcover, entspricht also ungefähr dem Preis von Taschenbüchern. Taschenbuchverlage erwerben heute immer weniger Lizenzen, sondern – denken Sie nur an DTV – publizieren Originalausgaben, werden damit zu Konkurrenten.

STANDARD: Sie haben einmal gesagt, "ein paar Titel weniger, dafür prominente Namen". Sind Bestseller die Lösung?

Ohrlinger: Natürlich versuchen wir, Bestseller zu machen. Es gehört zu den Aufgaben eines jeden Verlags, Bücher so zu platzieren, dass sie auch gekauft werden. Nur können wir uns nicht darauf verlassen, jede Saison auch einen Bestseller im Programm zu haben. Es stimmt, wir machen weniger Bücher als vor zehn oder 15 Jahren. Wir verkaufen aber ungefähr ähnlich viele.

STANDARD: Das war jetzt diplomatisch ausgedrückt. Verlagsprogramme unterliegen immer stärker einer Mischkalkulation, abseitigere Publikationen sind nur finanzierbar, wenn man daneben einen Publikumserfolg landet.

Ohrlinger: Sie haben recht, Mischkalkulationen sind das Wesen eines Verlagsprogramms. Der Zsolnay-Verlag mit zehn festen Mitarbeitern in Wien muss zwischen 250.000 und 300.000 Bücher jährlich absetzen, um sich finanzieren zu können. Das ist eine ganze Menge. Vor 15 Jahren hat Henning Mankell beinahe allein den gesamten Verlag getragen. Daniel Glattauer hat sehr viel verkauft. Mittlerweile sind wir breiter aufgestellt, sowohl im deutschsprachigen als auch im internationalen Bereich und beim erzählenden Sachbuch.

STANDARD: Ab welchen Verkaufszahlen sprechen Sie von einem Bestseller?

Ohrlinger: Ab 25.000 verkauften Büchern.

STANDARD: In Ihrem Frühjahrsprogramm stammen von 13 Titeln nur drei von Frauen. Das deckt sich mit einer Studie, die vor zwei Jahren gemacht wurde. Zwei Germanistinnen haben aufgezeigt, dass in den Programmen der drei größten deutschsprachigen Publikumsverlage nur zwischen 23 und 30 Prozent der Bücher von Autorinnen stammten. Gleichzeitig lesen Frauen mehr als Männer. Schneiden sich Verlage da nicht selbst in die Finger?

Ohrlinger: Ich finde es fatal, dass Männer so wenig Belletristik lesen. Vieles bleibt ihnen dadurch verschlossen. Ein Programm nach Geschlechtszugehörigkeit zusammenzustellen lehne ich aber ab. Es geht darum, ob Bücher etwas taugen. Im vergangenen Jahr war das Geschlechterverhältnis bei uns umgekehrt, insgesamt balanciert es sich aus.

STANDARD: Sie sehen keine strukturelle Problematik, dass Autorinnen benachteiligt würden?

Ohrlinger: Nein, das Angebot ist so vielfältig, dass es für jeden und jede etwas gibt. Die bestverkauften Bücher des vergangenen Jahres waren im deutschsprachigen Raum Über Menschen von Juli Zeh und Der Gesang der Flusskrebse von Delia Owens. Das sagt doch viel. (Stephan Hilpold, 15.2.2022)