Verkehrsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) fordert Änderungen bei der Umweltverträglichkeitsprüfung. "Eine UVP verhindert auch Verbesserungen. Änderungen sind nur noch mit Riesenaufwand möglich."

Regine Hendrich

Bei der Debatte über die Stadtstraße schuf sie Anfang Februar mit der Räumung des Protestcamps Fakten, gleichzeitig verwehrt sich Wiens Verkehrsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) gegen das ihr von Kritikern verpasste Image der Betoniererfraktion. So gebe Wien dreimal so viel Geld für den Ausbau der Öffis aus wie für Straßen.

STANDARD: War die Räumung des Protestcamps gegen die Stadtstraße für Sie unausweichlich?

Sima: Ich habe mich fünf Monate sehr ernsthaft darum bemüht, in Gespräche zu kommen und Auswege hin zu einem einvernehmlichen Abzug zu finden. Irgendwann muss man einsehen, dass das nicht gelingt. Die Baustelle ist seither in Vollbetrieb. Die Baufirma versucht, die verlorene Zeit einzuholen.

STANDARD: Am Freitag findet nach Einsprüchen von Gegnern des Vorhabens eine Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt. Es geht um weitere 150 Baumfällungen entlang der Trasse sowie um Nacht- und Wochenendarbeiten. Nimmt das Einfluss auf den Baufortschritt?

Sima: Ich hoffe, dass diese Details gelöst werden. Ich gehe davon aus, dass wir in diesem Jahr dadurch nicht am Baufortschritt gehindert werden. Das ist für mich entscheidend. Die Möglichkeit der streng limitierten Nachtarbeit wäre aber ein wichtiger zeitlicher Faktor.

STANDARD: Die Baustelle wird von Security-Kräften abgesichert. Wie viele sind hier Tag und Nacht im Einsatz? Welche Kosten kommen auf Wien zu?

Sima: Die Kosten können wir beurteilen, wenn das Projekt abgeschlossen ist. Es ging um die Abwägung: Ist es günstiger, Securitys einzusetzen – oder eine weitere Besetzung zu riskieren? Wir haben uns für die Absicherung entschieden. Ich hoffe, nicht für längere Zeit. Wir gehen von einer Fertigstellung bis Herbst 2025 aus: Wir werden sehen, ob wir es einhalten können.

Auf der Baustelle sind aktuell Securitys im Einsatz.
Foto: Karl Schöndorfer TOPPRESS

STANDARD: Die Straße ist vierspurig geplant. Warum ist für Sie eine Reduktion auf zwei Spuren kein Thema?

Sima: Ich habe das ja nicht geplant, sondern meine grünen Vorgängerinnen. Das Hauptproblem ist: Mit einer Umweltverträglichkeitsprüfung wird ein Projekt quasi eingefroren und kann nicht mehr geändert werden. Die UVP für die Stadtstraße hat sechs Jahre gedauert. Jede geringfügige Änderung zieht Verfahren bis zu einem Jahr nach sich. Eine grundsätzliche Änderung wie die Halbierung der Kapazität bedeutet: zurück zum Start. Man muss alle Gutachten neu berechnen. Und: Die Hälfte der Straße ist untertunnelt, Tunnel dürfen aus Sicherheitsgründen nur zweispurig geführt werden.

STANDARD: Die Zeit, sich das noch einmal durchzurechnen, gibt es in Zeiten der Klimakrise nicht?

Sima: Für mich ist die drei Kilometer lange Stadtstraße der Schlüssel für die klimafreundliche Stadterweiterung, mit wenig Bodenverbrauch, hoher Energieeffizienz und Öffi-Anbindung. Ein neues UVP-Verfahren mit allen Einsprüchen würde das Ganze um zehn Jahre verzögern. Und in zehn Jahren ist das Projekt auch wieder alt. Die UVP ist ein gut gemeintes Instrument, aber gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut. Damit wird das Projekt zum Start eingefroren, Änderungen sind nur noch mit Riesenaufwand möglich. Eine UVP verhindert auch Verbesserungen.

STANDARD: Sie wollen also Änderungen bei der UVP?

Sima: Ja, weil jedes Projekt, das eine UVP durchlaufen muss mit den folgenden Instanzenwegen, veraltet ist. Das ist systemimmanent.

STANDARD: In einer Aussendung vom 9. Dezember 2021 sagten Sie: "Wer die Stadtstraße verhindert, verhindert sozialen Wohnbau für rund 60.000 Menschen." Sind alle geplanten Wohnungen soziale Wohneinheiten?

Sima: Das betrifft den Großteil, vorwiegend sind Wohnbaugenossenschaften tätig. Wir wollen dort vier Stadtteile für 60.000 Menschen errichten. Die U-Bahn fährt schon hin, die S-Bahn wird ertüchtigt, es wird neue Straßenbahnen geben. Die Stadtstraße ist Auflage aus dem UVP-Verfahren, laut diesem dürfen wir erst mit dem Bau der Seestadt Nord beginnen, wenn die Straße in Betrieb ist.

STANDARD: Der Bau der Stadtstraße war eng mit der S1-Nordostumfahrung samt Lobautunnel verbunden. Dieser wurde von der grünen Verkehrsministerin Leonore Gewessler abgesagt. Wien kündigte an, rechtlich dagegen vorzugehen. Wann ist das geplant?

Sima: Wir haben keine Aktivitäten in der Schublade. Ich habe mich auf die Stadtstraße fokussiert.

STANDARD: Vor einem Jahr haben Sie zum Radweg auf der Praterstraße gemeint: "Die Wegnahme einer Autospur ist auf dieser so stark genützten Durchzugsstraße nicht machbar." Genau das wollen Sie jetzt aber umsetzen. Wie kam der Meinungsumschwung?

Sima: Wir haben das mit dem Bezirk noch einmal geprüft und gemeinsam eine gute Lösung gefunden. Für mich ist es wichtig, breite Radquerverbindungen durch die Stadt zu schaffen. Der erste Wiener Rad-Highway geht vom Kagraner Platz bis zum Donaukanal. Wir wollen große Sachen zusammenbringen. Dann macht es auch Sinn, auf eine Autofahrspur zu verzichten.

Auf der Praterstraße sollen Radfahrer ab Herbst 2024 mehr Platz erhalten. Eine Auto-Fahrspur stadtauswärts fällt weg.
Rendering: zoomVP.at

STANDARD: Macht der Verzicht auf Autospuren auch woanders Sinn?

Sima: Es gibt drei Möglichkeiten, wie man zu Platz für Radfahrer kommt: Autofahrspuren, Parkplätze und Grünstreifen. Mir ist es wichtig, dabei die Leute mitzunehmen. Vor allem mit der Einführung des Parkpickerls werden wir viel Platz gewinnen, weil der Druck auf Parkplätze geringer wird. Der Platz wird für Bewohnerinnen und Bewohner genützt: für Begrünungen, Sitzmöglichkeiten und Radwege.

STANDARD: Wien wird ab 1. März zur fast flächendeckenden Kurzparkzone. Wie viele Pendlerinnen und Pendler, die täglich nach Wien kommen, sind davon betroffen?

Sima: Wir sind dabei, neue Zahlen zu erheben: Aber es werden über 100.000 sein. Das Parkpickerl ist aber keine Überraschung, alle haben sich darauf vorbereiten können.

Stadträtin Ulli Sima zu möglichen Preisänderungen bei Parkscheinen in Wien: "Da ist derzeit nichts angedacht und nichts geplant."
Regine Hendrich

STANDARD: Aktuell kostet eine Stunde Parken in Wien 2,20 Euro. Wird es hier Änderungen geben?

Sima: Nein. Da ist derzeit nichts angedacht und nichts geplant.

STANDARD: Werden Park-&-ride-Stationen im Stadtgebiet ausgebaut?

Sima: Nein, wir wollen den Verkehr nicht in die Stadt ziehen. Es laufen Gespräche mit Niederösterreich, an welchen Öffi-Linien es dort Sinn macht, noch zusätzliche Park-&-ride-Garagen zu errichten – in finanzieller Kooperation mit Wien.

STANDARD: Wie steht es um die geplante verkehrsberuhigte Innenstadt? Wird eine Überwachung mit Kameras kommen?

Sima: Wenn es nach mir geht, ja. Wir brauchen nur eine Änderung der Straßenverkehrsordnung von der Frau Klimaministerin. Aber das kann kein großes Thema sein. Die technische Machbarkeit ist beauftragt, das System ist in vielen Städten schon erprobt. Dann werden auch in der Innenstadt Flächen im öffentlichen Raum frei werden. (David Krutzler, 17.2.2022)