Wird er der Nicholas Ofczarek des Volkstheaters? Samouil Stoyanov als Dichter Wanja in "Erniedrigte und Beleidigte".
Foto: Ostermann/Volkstheater

Mit schön weichem, gut durchhängendem österreichischem Zungenschlag hat Samouil Stoyanov das Publikum in München rumgekriegt. An den dortigen Kammerspielen lehrte er die anfangs skeptischen Abonnentinnen und Abonnenten binnen fünf Jahren, was ein Publikumsliebling ist. Zugegeben: Stoyanov spielte auch einmal Gott. Dass Kay Voges diesen schauspielenden Vulkan nicht aus den Augen ließ und ihn ans Volkstheater Wien geholt hat, könnte noch weitreichende Folgen haben.

Schon jetzt will man die falcoeske Hybris, das elastische Timbre, die tänzerischen Frohlockungen dieses normensprengenden -Schauspielers hier nicht mehr missen.
Unberechenbar

Eine gewisse Unberechenbarkeit ist nicht nur auf der Bühne spürbar, auch im persönlichen Gespräch schert so einer wie Stoyanov, wenn es eben sein muss, aus. Dann steht er plötzlich auf und geht im Zimmer herum oder stützt seinen Kopf lachend auf der Tischplatte ab. Und zwischendurch erfindet er Worte wie "Einzelappläusung". Gemeint ist damit die am Volkstheater abgelegte Applausordnung zugunsten der Verbeugung in der Gruppe. Dass Stoyanov Schauspieler ist, ist also sonnenklar. Dass er es wurde, schien aber nicht so sicher. "Es gab die Aufnahmsprüfung, und die Mama hat gesagt: Geh hin!"

Lehrer Teichtmeister und Simonischek

Hat hingehauen. Sehr gut sogar. Die Lieblingslehrer am Max-Reinhardt-Seminar waren Florian Teichtmeister und Peter Simonischek. Ein Engagement ans Burgtheater noch vor Ende seines Studiums hat der 1989 in Sofia geborene und in Linz in einer Tänzerfamilie Aufgewachsene allerdings ausgeschlagen – es war ihm "zu groß". Außerdem: "Ich hab lieber ein Stück in Graz gespielt, weil ich meiner Mama versprochen habe, das Studium noch abzuschließen." In Sachen Ausbildung haben die Stoyanov-Eltern selbst einen Ruf zu verlieren, sie leiten in Linz die Tanzschule Maestro. Vater Iassen war zehn Jahre lang Solotänzer am Landestheater.

Exzentrisch: Stoyanov in "Politiker" von Wolfram Lotz.
Foto: Urlaub/Volkstheater

Zuletzt hat Samouil Stoyanov das Publikum im Jandl-Stück humanistää! hingerissen. Er ist auch in den Politikern zu sehen sowie als Wanja in Erniedrigte und Beleidigte. Kommende Woche steht eine Bearbeitung von Horváths Volksstück Kasimir und Karoline mit dem Nature Theater of Oklahoma an, Titel:_Karoline und Kasimir – Noli me tan¬gere. In den trashigen Stofftransformationen der New Yorker Gruppe könnte der für dramaturgische Experimente empfängliche 32-Jährige auf seine Kosten kommen.

Ein Glückskind

Schauspieler wie Stoyanov lassen das Ensemble des Volkstheaters derzeit so lebendig und bezwingend erscheinen wie seit einer gefühlten Ewigkeit nicht. Mag sein, dass am Schnitzlerplatz 1 derzeit auch Sehgewohnheiten auf die Probe gestellt werden. Aber erstens ist genau das die Aufgabe von Theater, und zweitens, meint der Darsteller, brauche es in einer großen Stadt wie Wien zumindest eine große Bühne, die ein wenig anders tickt.

Stoyanov ist ein Glückskind: Es gab in den letzten Jahren keine bessere Adresse für aufgeweckte Schauspieler als die Münchner Kammerspiele unter Matthias Lilienthal. Diesen neugierigen Geist, herausgefordert in Inszenierungen von Stefan Pucher, Toshiki Okada, Simon Stone oder Yael Ronen und mit Kollegen wie Franz Rogowski, Thomas Hauser oder Julia Riedler, bringt Stoyanov nun mit nach Wien.

"Zugroaster Migrant"

Seine österreichische Sprachfärbung hat er sich erhalten. Ging nicht anders: Hochdeutsch war nie seine Stärke. "Ich bin halt so ein fauler zuagroaster Migrant, der sich die Hochsprache nicht so antrainiert hat wie andere."

Aber: "Hey, ich versuch einfach den Sepp-Bierbichler-Weg!" Der hat immerhin Schiller auf Bayerisch durchgesetzt. Das Singende, das Melodiöse im österreichischen Deutsch liegt Stoyanov ungemein, auch das könnte eine emotionale Bindung ans Publikum bewirken.

Seine angriffslustige Performance gefällt auch den Basketballspielern aus dem Sportkäfig nächst dem Volkstheater. Hier trainiert Stoyanov mit der Jugend aus diversen Subkulturen der Stadt. Die 17-Jährigen sitzen dann mit den Müttern in humanistää! und erkennen neidlos an, dass hier ein mitreißender Schauspieler am Werk ist: "He Alter, das war voll lit! Bro, richtig nice, wie du das gemacht hast!" (Margarete Affenzeller, 19.2.2022)