Ein Publikumsliebling für den Festspielerfolg: Neo-Intendantin Maria Happel (Mitte) soll ab Juli Freunde des gepflegten Sommertheaters nach Reichenau locken.

Foto: Lalo Jodlbauer

So recht über die Vorkommnisse im Jänner reden will niemand. Ein bisschen stichelt Florian Krumpöck aber doch. "Hier ist nicht die Patina des Verfallenen vorrangig", sagt er über das Grandhotel Panhans, in dem sein Kultur.Sommer.Semmering heuer erstmals stattfinden wird. Mit "Verfallenen" spielt Krumpöck auf das Südbahnhotel an, das bisher seine Spielstätte war, die ihm Anfang 2022 vom Neo-Eigentümer, Immobilienunternehmer und Kultursponsor Christian Zeller aufgekündigt wurde. Auf eine letzte Ausgabe konnte man sich nicht einigen. "Wir hätten etwa die gesamte Subvention des Landes in die Miete investieren müssen", sagt Krumpöck. Sein Programm für heuer stand schon, während er plötzlich ohne Spielort dastand. Er hatte Glück im Unglück, die ukrainischen Investoren des Panhans sprangen ein. "Es ist frisch renoviert, gleicht einer Filmkulisse."

Das Südbahnhotel wird nicht verwaisen. 2025 soll es als Hotel wiedereröffnen, bis dahin schon von der Zwischennutzung aus dem Dornröschenschlaf geholt werden: Ein neues, eigenes, ganzjähriges Kulturprogramm soll im April vorgestellt werden. Schon am Freitag stellte indes Schauspielerin Maria Happel die Details ihrer ersten Saison als Intendantin der Festspiele Reichenau vor. Letztes Jahr zog sich ja das Gründerehepaar Loidolt nach einem Rechnungshofbericht, der u. a. die intransparente Firmenkonstruktion monierte, zurück.

Vieles wird heuer also anders bei den Semmering-Sommerfestivals. Das birgt Fragen: Gibt es genug Publikum für drei Platzhirsche? Wie kommt man einander nicht ins Gehege?

Alles bleibt anders

Am klarsten liegt die Sache in Reichenau. Alleinstellungsmerkmal der Festspiele ist der Fokus auf Theater, daran wird sich auch unter Maria Happel nichts ändern. Überhaupt wird sich weniger ändern, als viele gehofft hatten. Setzte man bisher auf große Namen der Wiener Bühnen, wird es die – von Martin Schwab bis Sandra Cervik, von Hermann Beil bis Torsten Fischer – auch heuer geben. Ebenso gewohnt ist man schon vier große Produktionen, die binnen eines Monats (2. 7. – 6. 8.) je 20-mal abschnurren. In der neuen Reihe Alte Meister sollen Peter Stein und Claus Peymann über ihre Entwicklung erzählen.

Bei ihrer Vorstellung vergangenen Juli hatte Happel noch von einem kleinen Filmfestival geträumt. Das habe sich, wie auch ein Mäzenatenmodell für Publikum, das sich keine Karte leisten kann, noch nicht umsetzen lassen. "Wir hatten wirklich kaum Anlaufzeit. Ich bin froh, dass wir einen Spielplan haben."

Wirklich neu ist indes, dass es erstmals verschiedene Bühnenbildner geben wird. Die hatte bisher immer Altintendant Peter Loidolt beigesteuert. "Allein dadurch ergibt sich schon eine neue Ästhetik", meint Happel. Aber geht so frischer Wind? Das Publikum in Reichenau ist traditionell gehobenen Alters, die Karten sind teuer. "Der Altersschnitt in Reichenau ist hoch, ja, aber dieses Publikum wächst ja immer nach." Ein Jugendticket zum halben Preis wird es trotzdem heuer schon geben. Etwas Jugend soll auch mit Nachwuchsdarstellern vom Max-Reinhardt-Seminar, das sie leitet, und der Uni für Musik und darstellende Kunst einziehen.

Teil der Tourismusstrategie

Die wahre Bedeutung der Festspiele Reichen au illustriert wohl am besten, dass Niederösterreichs Tourismus-Landesrat Jochen Danninger (ÖVP) bei Happels Programmvorstellung mit auf dem Podium saß. Sommertheater ist in Teil der politischen Tourismusstrategie. Insofern wundert es nicht, dass das Südbahnhotel mit dem eigenen Kulturprogramm eine Art touristisches Gesamtpaket anstrebt.

Ort für Kultur: Der Waldhaussaal im Südbahnhotel am Semmering.
Foto: Christine Khom

"Wir richten uns an ein neugieriges, mobiles Publikum mit Interesse an Kultur ebenso wie an Outdooraktivitäten und Gastronomie", sagt Stefan Wollmann, Geschäftsführer der neuen Südbahnhotel Kultur GmbH. Die Kultur soll sich mit dem übrigen Angebot bis hin zur Übernachtung "kombinieren" lassen. Im vollen Ausmaß ist diese Vision Zukunftsmusik für 2025, wenn die Hotelrenovierung abgeschlossen ist. Dann wird auch der Waldhofsaal die zentrale Spielstätte sein. Erste Kultur- und Gastroangebote starten indes mit 15. Juli – dem 140. Jahrestag der Hoteleröffnung 1882.

"Komplementär"-Angebot

Künstlerisch wird ein Schwerpunkt auf klassischer Musik liegen, man will sich "international orientieren", "komplementär" zu anderen Angeboten in der Region sein. An Wochenenden, Feiertagen und in den Ferien soll sich das Programm über das ganze Jahr erstrecken. In der ersten vollen Saison 2023 soll es an etwa 100 Tagen Veranstaltungen geben, dafür werden 20.000 Karten aufgelegt. Das Budget beziffert Wollmann nicht. Kommen soll es aber "mindestens zur Hälfte aus dem Kartenverkauf", zusätzlich gibt es Geld von Privaten und wohl auch vom Land. Man sei in guten Gesprächen, warte jetzt auf Vorlage des Programms, um es prüfen zu können, heißt es von der Kulturabteilung Niederösterreichs.

Wie die Sache mit dem Kulturprogramm klappen soll, kann sich Florian Krumpöck indes schwer vorstellen. Im Panhans wird er wegen eines auf der Terrasse entstehenden Pavillons zwei Räume statt wie bisher nur einen bespielen. Seit das klar ist, stockt er das Programm des Kultur.Sommer.Semmering auf. Hier sei "eine Vielzahl der Künstler von Rang und Namen in Österreich bereits zu erleben. Die treten natürlich nicht auch im Südbahnhotel auf. Was abseits dessen an Programmmöglichkeiten frei ist, ist sehr wenig. Aber sie müssen selber wissen, was der Markt hergibt".

Das frisch renovierte Grandhotel Panhans ist ab heuer Spielstätte des Kultur.Sommer.Semmering.
Foto: Timna Tonn

Auch er enthüllt Programmdetails (8. 7. – 4. 9.) erst noch, die Liste mit Künstlern reicht aber schon jetzt von Birgit Minichmayr bis Michael Schade. Krumpöck rechnet wie in den letzten Jahren wieder mit einem Publikumsplus von rund 25 Prozent. "Wir hätten bisher viele Events fünfmal füllen können."

Erfolg inspiriert

Der Erfolg inspiriert. Dass "viele mit dem Auto durch Gloggnitz durchfahren, um nach Reichenau oder auf den Semmering zu kommen", ist der Gemeinde in den letzten Jahren aufgefallen. So wurde die Idee zu "moz art" geboren, einer ganzjährigen Kulturinitiative, die diesen Frühsommer startet. Noch heuer soll es 45 Veranstaltungen geben. Der Name liegt beim Semmering nicht auf der Hand, doch Leiter Johannes Kropfitsch klärt auf: Um 1800 lebte hier Graf Franz von Walsegg, der berühmte Musiker mit Kompositionen beauftragte, u. a. Mozart, der nun Referenzpunkt ist. Die Berliner Symphoniker eröffnen, es folgt etwa das Philharmonische Orchester Györ. Solistisch stehen Kristina Miller oder Emre Yavuz für ein "progressives" Programm.

Der Rückhalt für den Neuling scheint zumindest innerhalb der Gemeinde groß: "Sämtliche" lokalen Firmen sollen zum sechsstelligen Budget beitragen. 11.000 Karten will man verkaufen. Die Gäste sollen im Idealfall nachhaltig per Zug anreisen. Nach Reichenau soll es übrigens erstmals ein Busshuttle geben. Denn wichtig ist: dass das Publikum kommt. (Michael Wurmitzer, 27.2.2022)