Die Causa B. kostete zahlreichen Personen ihren Platz im Kanzleramt, zuvorderst Sebastian Kurz; Medienberater Gerald Fleischmann; Pressesprecher Johannes Frischmann und Kabinettschef Bernhard Bonelli (der in dieser Causa nicht beschuldigt ist)

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Man muss sich die Inseraten- und Umfragenaffäre, die zum Sturz von Sebastian Kurz geführt hat, als Zwiebel vorstellen. Schicht für Schicht wird die Causa breiter und komplizierter, bis sie schließlich das Kernteam der türkisen ÖVP erfasst.

Im Zentrum der Sache: Der Verdacht auf Scheinrechnungen

Der zentrale Vorwurf in der Causa Sabine B. ist noch relativ einfach zu verstehen. Sie soll Dienste für die ÖVP erfüllt haben, die über das Finanzministerium abgerechnet wurden. Konkret wurde B. mit Studien über Themen des Ministeriums beauftragt, zum Beispiel zur Betrugsbekämpfung. Bei den Studien soll sie aber auch Dinge untersucht haben, die das Finanzministerium nicht zu interessieren haben – etwa, welchem Tier gewisse Politiker zuzuordnen sind. Das habe dem Finanzministerium und somit dem Steuerzahler keinen Nutzen gebracht, dafür aber der ÖVP.

Die ÖVP soll also in dem von ihr geleiteten Ministerium Steuergeld für eigene, parteipolitische Zwecke missbraucht haben. Das würde den Tatbestand der Untreue erfüllen. Beschuldigt werden hier der frühere Abteilungsleiter Johannes Pasquali sowie der frühere Ressort- und spätere Kanzlersprecher Johannes Frischmann sowie Thomas Schmid, damals Generalsekretär (siehe Personenglossar unten). Eine Interne Revision im Finanzressort stellte jedenfalls erhebliche Mängel bei der Vergabe und Dokumentation von B.s Studien fest. Frischmann und Pasquali weisen die Vorwürfe von sich.

Wozu das Ganze? Das Team rund um Außenminister Sebastian Kurz wollte anfangs dessen Aufstieg zum Parteiobmann pushen. Da der Parteichef aber damals Reinhold Mitterlehner hieß, konnte man nicht auf Parteibudget zugreifen, um politische Stimmungslagen zu erfassen. Deshalb soll die Abrechnung über das Finanzministerium erfolgt sein, in dem Vertrauensleute von Kurz saßen.

2. Ebene: Die Mediengruppe "Österreich" kommt ins Spiel

Das Team rund um Kurz soll die Umfrageergebnisse aber nicht nur für ihre parteipolitischen Planungen verwendet haben, sondern auch zur öffentlichen Stimmungsmache. Hier tritt die Mediengruppe Österreich auf den Plan. Dort war Sabine B. ebenfalls als Meinungsforscherin tätig. Sie erstellte politische Umfragen und trat als Analystin auf. Gemäß B.s Einvernahmen fragte sie bei jenen Umfragen, die später in Österreich erschienen, zuerst ÖVP-Personal wie Schmid oder Frischmann, ob die Ergebnisse an die Tageszeitung weitergeleitet werden konnten.

In dieser Darstellung erschienen die Brüder Fellner und ihr Medienimperium eher als Geschädigte denn als Beschuldigte. Tatsächlich regte sich Wolfgang Fellner fürchterlich über B. auf, als ihm bei der Hausdurchsuchung die Vorwürfe präsentiert worden sind. Es könnte sein, dass B. die von der ÖVP abgenickten Umfrageergebnisse der Tageszeitung Österreich untergejubelt hat.

3. Ebene: Ein Deal im Hintergrund?

Es könnte allerdings auch sein, dass den Fellner-Brüdern bewusst war, welches Spiel getrieben wird. Diesen Verdacht hat zumindest die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). Sie führt eine Medien- und Inseratenkooperation zwischen dem Finanzministerium und "Österreich" ins Treffen, der im Frühjahr 2016 abgeschlossen wurde.

Es sind schwere Vorwürfe: Die Brüder Wolfgang und Helmut Fellner soll das Team im Finanzministerium mit positiver Berichterstattung bestochen haben, um im Gegenzug einen Vorteil – nämlich den Inseratendeal – zu erhalten. Dafür hätte sich das Team Kurz in redaktionelle Inhalte einmischen können, das habe auch auf B.s Umfragen abgezielt. Alle Beschuldigten bestreiten das, es gilt die Unschuldsvermutung.

4. Ebene: Mastermind oder Unschuldslamm

All diese Aktionen hätten vor allem einer Person genützt, denken die Ermittler der WKStA: nämlich Sebastian Kurz. Zuerst sei durch B.s Umfragen für ihn als besseren Parteiobmann Stimmung gemacht worden, danach der Wahlkampf und schließlich die Kanzlerschaft begleitet worden.

Die engsten Vertrauten von Kurz seien involviert gewesen: Über B.s Umfragen unterhalten hätten sich Thomas Schmid, Johannes Frischmann, der dann Kanzlersprecher wurde; sowie die Kurz-Berater Stefan Steiner und Gerald Fleischmann. Sie alle sind Beschuldigte, genau wie der Altkanzler selbst.

Allerdings gibt es bislang nur schwache Indizien dafür, dass Kurz vollumfänglich über die Deals informiert war. Er wird zwar über Umfrageergebnisse informiert, kommuniziert jedoch nie mit B. Deshalb sieht sich Kurz durch deren Geständnis auch entlastet. Nach derzeitigem Stand wäre eine Anklage gegen Kurz wohl riskant – die WKStA wird noch nach Belastungszeugen suchen oder auf andere, eindeutigere Chats stoßen müssen.

5. Abseits davon: Karmasin und andere Geschäfte

Eine zentrale Figur in dieser Causa ist auch die Meinungsforscherin Sophie Karmasin. Sie war einst eine Art Mentorin für Sabine B., bevor sie für die ÖVP Familienministerin wurde. Danach soll sie B. die eingangs erwähnten Aufträge des Finanzministeriums vermittelt und dafür eine Provision kassiert haben. Auch den Deal mit "Österreich" soll Karmasin miteingefädelt haben. B. und Karmasin hätten diesen Auftrag dem Gallup Institut wegnehmen wollen, wo sie früher gearbeitet hatten, erklärte B. in ihrer Einvernahme. Denn mit dessen neuem Eigentümer gab es heftigen Wickel, B. war nach Karmasins Abgang fristlos entlassen worden.

B. bezeichnet sich selbst als "Politikgegner", weil sie schon in den Jahren 2010 bis 2013 mitbekommen habe, wie Parteien Umfragen manipulierten. Sie bezieht sich damit auf die SPÖ und die Tageszeitung "Heute". Die Sozialdemokratie habe Druck gemacht, dass Umfragen im Gratisblatt zu ihren Gunsten manipuliert würden, behauptete B. Die Beteiligten bestreiten auch das. (fsc, 26.2.2022)