Protestbewegungen sind im Aufwind.

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Bei einer historisch niedrigen Wahlbeteiligung von nur 66 Prozent traten bei den Gemeinderatswahlen in Tirol am Wochenende nur 19 von insgesamt 861 Listen unter dem Parteinamen ÖVP an. In wichtigen Ortschaften wie Hall in Tirol, Wattens und Schwaz, die als schwarze Banken galten, müssen die VP-Kandidaten in die Stichwahl, um ihr Bürgermeisteramt zu verteidigen. In der Heimatgemeinde von Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) regiert künftig ein SPÖ-Landtagsabgeordneter. Für VP-Generalsekretärin Laura Sachslehner dennoch Grund zum Jubeln: "Die Volkspartei steht dank hervorragender Wahlergebnisse in Tirol einmal mehr als Bürgermeisterpartei fest."

Also wieder einmal alles richtig gemacht? Diese Form von politischer Realitätsverweigerung, die die ÖVP seit ihrer türkisen Umfärbung auf Bundesebene an den Tag legt, hinterlässt einen ratlos. Die Wählerinnen und Wähler haben diesem Politikstil nun auf der niederschwelligsten Ebene, in den Gemeinden, eine Abfuhr verpasst. Auch wenn die ÖVP stets betont, es handle sich um eine reine Persönlichkeitswahl. Das Tiroler Ergebnis spricht eine andere Sprache.

Es ist ein "Verdienst" der Kanzlerpartei, dass eine Protestbewegung wie MFG, die inhaltlich rein gar nichts mit Kommunalpolitik zu tun hat, aus dem Stand in 47 Gemeinderäte (bei 51 Listen) einzieht. Ihr Antreten schadete der ÖVP sicherlich mehr als der FPÖ. Der Wildwuchs an Namens- und Bürgerlisten, die je nach Abschneiden der Mutterpartei zugeordnet werden oder eben nicht, zeigt eine wachsende Kluft zwischen Funktionärsebene und Basis, die einer selbsternannten Volks- und Bürgermeisterpartei wenig zuträglich ist.

Umfragen lassen sich frisieren, Wahlergebnisse nicht. Ob und welche Lehren man in der ÖVP aus dem ersten großen Urnengang 2022 zieht, wird angesichts der im kommenden Jahr anstehenden Landtagswahlen in Niederösterreich, Salzburg und Tirol spannend. Denn dazu müsste man zuallererst eigene Fehler eingestehen. (Steffen Arora, 28.2.2022)