Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft hat schwere Verdachtsmomente gegen Sophie Karmasin – es gilt die Unschuldsvermutung.

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Die Inseraten- und Umfragenaffäre ist deutlich umfangreicher als bislang angenommen. So soll die frühere Familienministerin Sophie Karmasin, die von 2013 bis 2017 auf einem ÖVP-Ticket in der Regierung war, ein ausgefeiltes System zur Auftragsakquise erfunden haben. Dem Vernehmen nach spannte Karmasin dafür zwei befreundete Meinungsforscherinnen ein, darunter Sabine B., ihre frühere Assistentin. Mindestens drei Mal soll Karmasin nach ihrer Zeit als Ministerin Angebote für Studien an das Sportministerium gelegt haben – und B. sowie die andere Meinungsforscherin ebenfalls, allerdings zu einem deutlich höheren Preis. So sei der Eindruck erweckt worden, Karmasin lege das beste Angebot vor. "In allen Fällen zielten die abgesprochenen Angebote darauf ab, dass Karmasin Bestbieterin sein und den Auftrag vom BMÖDS erhalten sollte", heißt es in der Festnahmeanordnung.

Karmasin soll B. in weiterer Folge Subaufträge vermittelt und sie also für das Legen eines Scheinangebots entlohnt haben. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt jedenfalls wegen des Verdachts auf "wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Vergabeverfahren".

"Neigung zu Absprachen"

Zwei Faktoren führten nun zur Festnahme Karmasins: Erstens habe sie dieses Modell mindestens bis Sommer 2021 betrieben, obwohl da bereits umfassend gegen den Mitbeschuldigten Thomas Schmid ermittelt wurde. Da sie "nach wie vor als Meinungsforscherin tätig ist, sie nach der Verdachtslage über Jahre delinquierte und wiederholt neue Ideen für (strafrechtlich relevante) Geschäftsmodelle entwickelte" und trotz der Ermittlungen gegen Ex-Öbag-Chef Schmid nicht vor deren Umsetzung zurückgeschreckt sei, bestehe Tatbegehungsgefahr, heißt es in der Anordnung der WKStA.

Zweitens liege Verdunkelungsgefahr vor, da Karmasin sich bislang noch nicht zu den Vorwürfen geäußert habe und die mitbeschuldigte dritte Meinungsforscherin bislang noch gar nicht einvernommen worden sei. Die WKStA attestiert Karmasin "die Neigung, heimliche Absprachen zu treffen". Es sei davon auszugehen, dass Karmasin auf freiem Fuß "Mitbeschuldigte und Zeugen beeinflussen", "die Spuren der Tat beseitigen oder sonst die Ermittlung der Wahrheit erschweren" würde. Von Sabine B. lässt sich das mittlerweile nicht mehr sagen: Die einstige Vertraute Karmasins hat mehrfach ausgepackt, um den Status als Kronzeugin zu erhalten. Ob die rechtlichen Voraussetzungen dafür gegeben sind, ist unklar, gestand B. doch erst nach ihrer Festnahme – eigentlich ein Ausschlussgrund. Doch die Demoskopin lieferte der WKStA offenbar mehrere neue Ansätze und löste so nicht nur den Verdacht auf "wettbewerbsbeschränkende Absprachen", sondern auch Geldwäscheermittlungen aus.

Geldflüsse "verschleiert"

In ihren Einvernahmen erzählte B., Karmasin habe nach der Vermittlung von Studien auch während ihrer Zeit als Ministerin 20 Prozent Provision von B. verlangt. Nämlich für jene Aufträge der Mediengruppe Österreich und des Finanzministeriums, die im Zentrum der Ermittlungen stehen. Die Provision sei von B. aber nicht an Karmasin, sondern an die Firma von deren Mann überwiesen worden. Das begründete nun den Verdacht der Geldwäscherei.

Karmasin habe gewusst, dass B.s Honorare aus rechtswidrig erlangten Aufträgen zustande gekommen seien, und habe deshalb Verschleierungshandlungen gesetzt, heißt es in der Anordnung. Deshalb wird gegen Sabine B. und Karmasin nun auch wegen dieses Delikts ermittelt. Karmasins Anwalt Norbert Wess reagierte auf Anfragen nicht. Unklar ist, ob die WKStA auch eine Untersuchungshaft beantragen wird. Dafür hat sie bis Freitagnachmittag Zeit. Sabine B. war im Oktober ebenfalls kurzzeitig festgenommen worden, nach einem umfassenden Geständnis aber nicht in U-Haft gekommen. Die Meinungsforscherin kooperiere umfassend, heißt es in der Anordnung der WKStA.

Diese sieht auch ihre Verdachtsmomente gegen Altkanzler Sebastian Kurz bekräftigt. So habe Karmasin dessen Entscheidung, eine Umfrage abzusagen, an B. übermittelt. Für die WKStA ist sie daher "Verbindungsglied zu Sebastian Kurz" gewesen. Der war offenbar in seiner Zeit als Außenminister wegen breiter Empörung über seinen Vorstoß, Flüchtlinge auf einer Insel zu internieren, "nervös geworden", wie Karmasin an B. berichtete. Deshalb finde eine Umfrage zu diesem Thema jetzt nicht statt. Kurz selbst bestreitet, von B. und ihren Umfragen gewusst zu haben. (fsc, gra, 3.3.2022)