Eigentlich sollte man meinen, dass eine große Kinderschar die Eltern schneller altern lässt. Es gibt sogar ein wissenschaftliches Konzept dazu: Die Life History Theory (LHT) besagt, dass für einen Organismus bei großer Investition von Energie in die Fortpflanzung weniger Reserven für die Pflege der eigenen Gesundheit bleibt. Tatsächlich aber altern kinderreiche Mütter langsamer als solche mit wenigen Nachkommen, wie kanadische Forscher vor einigen Jahren festgestellt haben.

An anderer Stelle gibt es diesen Zusammenhang zwischen Dauerstress und körperlichem Verfall sehr wohl, wie ein Blick ins Tierreich verrät: Wenn es um Alternsforschung geht, bekommt man es früher oder später mit den Mullen zu tun. Die Nagetierfamilie hat einige in straff organisierten Kolonien lebende Arten hervorgebracht, die von ihrer Höhlengräber-Lebensweise ziemlich abgehärtet wurden. Die Graumulle (Fukomys) beispielsweise, nahe Verwandte der bekannteren Nacktmulle (Heterocephalus glaber),müssen kaum trinken, kennen praktisch keine Schmerzen und erkranken nur äußerst selten an Krebs. Und sie sind mit weit über 20 Jahren ungewöhnlich langlebige Nager – zumindest jene, deren Aufgabe im sozialen Gefüge dies erlaubt.

Sexuell aktive Mulle leben länger

Mulle altern nämlich unterschiedlich, je nach dem welchen Status sie in der Kolonie besitzen: sind sie sexuell aktiv, dann werden sie fast doppelt so alt wie Artgenossen mit anderen Aufgaben. Ein Team um Arne Sahm vom Leibniz-Institut für Alternsforschung (FLI) in Jena wollte es genau wissen und untersuchte, welche statusspezifischen Veränderungen für das lebensverlängernde Phänomen verantwortlich sind.

Bei den Graumullen vermehrt sich normalerweise nur das Pärchen an der Spitze der Kolonie. Es ist für die Fortpflanzung und den Fortbestand der Kolonie zuständig. Die übrigen Tiere der Kolonie pflanzen sich zwar nicht fort, sind aber auch nicht unfruchtbar. Wenn sie die Kolonie verlassen, können sie sich ebenfalls vermehren und eine eigene Kolonie gründen. Mit dieser Strategie vermeiden die Mulle Inzest innerhalb ihrer Geburtsfamilie.

Der Status bestimmt das Tempo des Alterns bei Graumullen (im Bild Fukomys mechowii): Links ein neun Jahre altes Weibchen aus der Arbeiterkaste mit deutlichen Alterserscheinungen. Rechts seine sechs Jahre ältere Mutter aus der royalen Kaste, die deutlich fitter wirkt.
Foto: M. Schmitt

Künstlicher Statuswechsel

Das bedeutet aber auch, dass Arbeiter in der Regel innerhalb der Heimatkolonie nicht in die royale Kaste aufsteigen können. Der lebensverlängernde Aufstieg in die "reproduktive Kaste" lässt sich allerdings im Laborversuch erfolgreich simulieren, wenn ein Tier mit einem gegengeschlechtlichen Exemplar einer anderen Kolonie zusammengebracht wird. Der damit initiierte Statuswechsel – so die Forschenden im Fachjournal "eLife" – markiert den Beginn eines verlangsamten Alternsprozesses.

Da es sich um die gleiche Art handelt und ein Kastenaufstieg prinzipiell möglich ist, kann als Erklärung für die abweichenden Alternsgeschwindigkeiten eine unterschiedliche genetische Ausstattung ausgeschlossen werden. "Wir konnten zudem in früheren Arbeiten zeigen, dass sich die Arbeiter hinsichtlich ihrer Ernährung und ihrer Aktivitäten kaum von den reproduktiv aktiven Tieren unterscheiden, mit Ausnahme eben der sexuellen Betätigung," sagt Koautor Philip Dammann von der Universität Duisburg-Essen.

Per Genschalter in die royale Kaste

"Wir vermuteten daher, dass bei den Angehörigen der royalen Kaste das gleiche Genom offenbar anders interpretiert wird. Dass mit dem Kastenaufstieg quasi ein Schalter umgelegt wird, der die Gene einfach anders reguliert", sagte Sahm. Tatsächlich lieferte eine Analyse von 600 Gewebeproben von Tieren unterschiedlicher Kasten entsprechende Hinweise: Vor allem in jenen Geweben, die für die Hormonproduktion zuständig sind (wie in der Schilddrüse und Nebenniere), zeigten sich markante Veränderungen.

Ein maßgeblicher Unterschied betraf den Anabolismus, also den Aufbau körpereigener Stoffe von beispielsweise Proteinen. Dieser war in der royalen Kaste deutlich stärker ausgeprägt. "Ein äußerst interessanter Befund, denn er steht im direkten Gegensatz zu vielen Erkenntnissen aus der Forschung an kurzlebigen Modellorganismen," erklärt Steve Hoffmann vom FLI. Aus der Forschung an Fadenwürmern, Fruchtfliegen und Mäusen ist bekannt, dass sich die Lebenserwartung erhöhen lässt, wenn der anabole Stoffwechsel gehemmt wird.

Dauerstress lässt schneller altern

Eine weitere wichtige Veränderung betraf die Synthese von Steroidhormonen. Während in der royalen Kaste vor allem – wenig überraschend – diejenigen Gene hochreguliert waren, die für die Produktion von Sexualhormonen zuständig sind, wurden bei den Arbeitern vor allem Gene ausgelesen, die für die Produktion von Steroidhormonen verantwortlich sind. Diese auch als Stresshormone bekannten Substanzen beeinflussen den Stoffwechsel, Wasser- und Elektrolythaushalt, das Herz-Kreislaufsystem und Nervensystem. Ferner wirken sie entzündungshemmend und immunsuppressiv, indem sie Immunreaktionen des Körpers abmildern.

"Dies ist ein Beleg dafür, dass die Graumulle der Arbeiterkaste unter Dauerstress stehen und dadurch früher altern", sagte Sahm. Untermauert wurde dies von verschiedenen Merkmale, die auf chronischen Stress zurückzuführen sind. Im nächsten Schritt will das Team herausfinden, ob sich die beschleunigte Alterung der Graumulle im Dauerstress mit stressbedingtem Altern beim Menschen vergleichen lässt. (tberg, red, 4.3.2022)